Abschrift
Wir erlebten den Krieg in Gablonz durch die sich immer verfeinernden und verschärfenden Luftschutzmaßnahmen. Wir mussten mit fortschreitendem Lebensalter nachts zunehmend Brandwache schieben. Wir erlebten die Evakuierung von ausgebombten Müttern mit Kindern aus dem Ruhrgebiet und aus der Reichshauptstadt Berlin, die bei uns in den Wohnungen Platz fanden. So erlebten wir den Krieg. Und dann erlebten wir natürlich, dass unsere Mütter, soweit sie noch nicht 50 waren, in der Kriegsindustrie eingesetzt wurden. Die Gablonzer Feinmechanik, die für die Gürtler-Industrie Voraussetzungen hatte, hatte natürlich auch Voraussetzungen zur Produktion von Schaltern, von elektrischen Kombinationen für Flugzeuge, U-Boote und ähnliches.
Da wurden die Mütter eingesetzt, und dann merkten wir, wie die Zahl der so genannten Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen [zunahm]. In unserem Haus wohnte eine Familie mit vier Kindern, die bekam eine Ukrainerin als Haushilfe, weil der Vater Soldat war. Die Marusja – wir sagten Russin – war im Hause geschätzt. Bis dann der Unterschied klar wurde: Sie war Ukrainerin und ein Muster an Sauberkeit, Ordentlichkeit und Gewandtheit. Sie half gegen ein Zubrot auch bei den anderen Familien, die noch im Hause lebten.
Und dann erlebten wir den Krieg natürlich auch durch den Einsatz von Kriegsgefangenen in der Industrie. Das waren Franzosen, und da gab es ab einem gewissen Alter Probleme. Und zwar, wenn sich Kontakte zwischen deutschen Mädchen, jungen Frauen, und diesen – ich gebrauche mal den Ausdruck – ,Fremdvölkischen` ergaben, die ja offiziell verboten waren. Das betraf uns noch nicht, wir waren noch nicht so weit herangewachsen. Aber mir ist von Gablonz – ich war bis September 1943 noch nicht Soldat – kein Fall irgendeiner polizeilichen Verfolgung oder gerichtlichen Strafmaßnahme bekannt.
Roland Bude, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de