Aktion in Hennigsdorf gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns
Zwei Tage nach der offiziellen Ausbürgerung Wolf Biermanns am 18. November 1976 hängt ein 22-jähriger Student der Hennigsdorfer Ingenieurschule zwei selbst geschriebene Artikel an die öffentliche Wandzeitung im Eingangsbereich der Schule. Auf zwei Schreibmaschinenseiten protestiert er gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und das Publikationsverbot für den Schriftsteller Reiner Kunze. Der Student ruft seine Kommilitonen dazu auf, Eingaben an den Staatsrat der DDR zu schicken. Laut Bericht der Stasi können immerhin zehn Studierende seine Protestschreiben lesen, bevor diese nach nur fünf Minuten „von Funktionären der Schule entfernt wurden“.
Im Stasi-Dossier wird der Student als „Sohn eines reaktionären Pfarrers“ und „Wehrdienstverweigerer“ beschrieben. Die Stasi trägt eilends alle Informationen zusammen, die sie bereits über die Familie des Studenten gesammelt hat: „Der Vater ist evangelischer Pfarrer. Seine Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung ist negativ. Er gilt als der rechtsreaktionärste Pfarrer im Kreis. Die gesamte Familie ist seit Jahren Nichtwähler. Der Bruder [des Studenten] war wegen Hetze inhaftiert und wurde 1975 aus der Haft in die BRD entlassen.“
Die Familie des Hennigsdorfer Studenten entspricht damit dem üblichen Feindbild der Stasi: Menschen, die sich dem starken Anpassungsdruck widersetzen und aktiv gegen den repressiven Staat aufstehen. Über das weitere Schicksal des Studenten ist nichts bekannt.
Zitierempfehlung: „Aktion in Hennigsdorf gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145375