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Die ganze DDR protestiert gegen Biermanns Ausbürgerung

„Feindlich-negative Vorkommnisse“: Statistik der Staatssicherheit über Proteste im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns (15. Dezember 1976). Quelle: BStU, MfS, ZAIG 5525
„Feindlich-negative Vorkommnisse“: Statistik der Staatssicherheit über Proteste im Zusammenhang mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns (15. Dezember 1976). Quelle: BStU, MfS, ZAIG 5525
Nervöse Lauschaktion: Bericht der Staatssicherheit vom 30. November 1976 über Meinungen zur Biermann-Ausbürgerung an der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 864
Nervöse Lauschaktion: Bericht der Staatssicherheit vom 30. November 1976 über Meinungen zur Biermann-Ausbürgerung an der Hochschule für Ökonomie in Berlin. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG Nr. 864
Abschrift
Unbekannte haben in der Pankower Binzstraße eine Losung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns an eine Haustür geschrieben. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, MfS HA XX, 12665
Unbekannte haben in der Pankower Binzstraße eine Losung gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns an eine Haustür geschrieben. Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv, MfS HA XX, 12665
Mit einer schwarzen Armbinde protestiert ein 22-jähriger in Pausa (Thüringen) gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA IX 190, Bl. 14
Mit einer schwarzen Armbinde protestiert ein 22-jähriger in Pausa (Thüringen) gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA IX 190, Bl. 14
"Laßt Biermann rein!" In Pausa protestiert ein Jugendlicher mit einer selbstgefertigten Armbinde gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA IX 190, Bl 13
"Laßt Biermann rein!" In Pausa protestiert ein Jugendlicher mit einer selbstgefertigten Armbinde gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA IX 190, Bl 13
In Magdeburg hören sich Jugendliche das Biermann-Konzert an und solidarisieren sich mit ihm. Quelle: BStU, MfS, HA IX 10048, Bl. 3
In Magdeburg hören sich Jugendliche das Biermann-Konzert an und solidarisieren sich mit ihm. Quelle: BStU, MfS, HA IX 10048, Bl. 3
In einer Lehrwerkstatt in Teltow werden Flugblätter gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns gefunden. Quelle: BStU, MfS, HA IX 10048 Bl 25
In einer Lehrwerkstatt in Teltow werden Flugblätter gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns gefunden. Quelle: BStU, MfS, HA IX 10048 Bl 25
Auch im Norden der DDR entwickelt sich Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG 842 Bl. 7
Auch im Norden der DDR entwickelt sich Protest gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG 842 Bl. 7
Damit hat die Stasi nicht gerechnet: In der ganzen DDR kursieren Tonbandaufzeichnungen von Biermanns Konzert in Köln, so auch unter Studenten in Merseburg. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG 877, Bl. 123
Damit hat die Stasi nicht gerechnet: In der ganzen DDR kursieren Tonbandaufzeichnungen von Biermanns Konzert in Köln, so auch unter Studenten in Merseburg. Quelle: BStU, MfS, HA XX/AKG 877, Bl. 123

Die DDR-Bevölkerung nimmt die politische Ausschaltung und Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 nicht tatenlos hin. An dieses ungerechte Straf- und Druckmittel erinnern sich manche Menschen noch aus dem Dritten Reich. Viele empfinden die Reaktion des Staates als falsch und überzogen. Die SED-Führung unterschätzt die Folgen ihrer Entscheidung: Denn Wolf Biermann und seine Lieder lernen die meisten DDR-Bürger erst durch die Ausbürgerung und das von der ARD ausgestrahlte Konzert kennen. Und so wird nicht nur in intellektuellen Kreisen Protest laut.

Besonders Schüler und Studierende verurteilen das Verhalten des Staates. Die Stasi aktiviert ihre Inoffiziellen Mitarbeiter (IM), um ein Stimmungsbild zu ermitteln – beispielsweise im Bezirk Magdeburg. Ein internes Papier stellt fest, dass rund 70 Prozent der bespitzelten Schüler und Studierenden die Entscheidung der DDR-Regierung zweifelhaft finden.

Die Ausbürgerung Wolf Biermanns erinnert an Nazi-Methoden

Am 15. Dezember 1976 stellt die Stasi einen ersten Überblick über die „feindlichen Pläne, Absichten und Aktivitäten im Zusammenhang mit den Vorgängen um Biermann, Havemann u.a.“ zusammen (Bildergalerie). Insgesamt werden landesweit 457 „feindliche Aktivitäten“ gemeldet. Nicht nur in den großen Städten, sondern auch in kleinen Orte wie Nauen (bei Berlin) stehen Menschen gegen das Unrecht auf. Anders als die protestierenden Künstler stehen die namenlosen DDR-Bürger aber nicht unter dem Schutz, den die Prominenten aufgrund der internationalen Aufmerksamkeit genießen. Auf ihre Protestaktionen folgen meist Verhaftungen und Zwangsmaßnahmen.

Auch unter systemtreuen Genossen wird das Thema Biermann heiß diskutiert. So manche Parteiversammlung wird plötzlich zu einer staatskritischen Veranstaltung. Viele Berichte von IM befassen sich mit den Diskussionen unter Studierenden und Lehrlingen. Dort heißt es unter anderem: „Unter dem ingenieurtechnischen Personal des VEB Tiefbau wird die Frage gestellt, warum wir als DDR zu schwach sind, um nicht einen Biermann zu ertragen. Biermann hätte durchaus Wahrheiten gesagt. Sie stehen nicht hinter Biermann, sondern erkennen die Haltung an, dass er bestimmte Mängel angesprochen hat.“

In der FDJ-Gruppe der Berliner Charité, dem großen Berliner Krankenhaus, sollen Unterschriften gesammelt werden, um die Zustimmung zur Ausbürgerung auszudrücken. Doch einige Mitglieder widersprechen: „Als der FDJ-Sekretär den Vorschlag unterbreitete, im Namen der FDJ-Gruppe zu unterschreiben, protestierten diese sechs FDJler mit aller Entschiedenheit dagegen.“ Über Diskussionen in der Akademie der Wissenschaften berichtet ein Spitzel: „Die Ausbürgerung wird von einem beträchtlichen Teil der Mitarbeiter (auch Genossen) als unbesonnen und folgenschwer bezeichnet. Mit der Ausbürgerung selbst ist nur ein geringer Teil einverstanden.“

Zitierempfehlung: „Die ganze DDR protestiert gegen Biermanns Ausbürgerung“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145339


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