Der schwedische Premierminister und Friedensnobelpreisträger Olof Palme wird am 28. Februar 1986 in Stockholm auf offener Straße erschossen. Er gehört zu den Politikern, die sich am deutlichsten gegen das atomare Wettrüsten aussprechen. Einer seiner Vorschläge: in Europa zwischen Ost und West einen 150 Kilometer langen atomwaffenfreien Korridor schaffen. Europäische Friedensgruppen wollen im September 1987 auf einem internationalen Friedensmarsch quer durch Europa für eine Verwirklichung von Olof Palmes Vorschlag demonstrieren. In Zeiten von Kaltem Krieg und atomarer Bedrohung schließen sich viele Menschen den Protesten auf der Straße an.
Die Marschroute führt auch durch die DDR. Neben den ausländischen Teilnehmern und offiziellen staatlichen Friedenskomitees dürfen in der DDR auch kirchliche Kreise an dem Marsch vom 1. bis 18. September 1987 teilnehmen. Die DDR zeigt der Welt in diesen Tagen ein freundliches Gesicht, da Partei- und Staatschef Erich Honecker gerade in der Bundesrepublik ist und sich um unentbehrliche Kredite bemüht. Zudem ist der DDR-Führung an einem guten Verhältnis zur bundesdeutschen Friedensbewegung gelegen, die mit vielen Vertretern am Marsch teilnimmt. Mit deren Unterstützung erhoffen sich die SED-Funktionäre ein positiveres Image ihrer Politik in der Bundesrepublik.
Demonstration gegen atomare Bedrohung und Kalten Krieg
Zwischen den ehemaligen Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen findet vom 2. bis 5. September 1987 ein Pilgerweg im Rahmen des Olof-Palme-Marsches statt, organisiert von der Aktion Sühnezeichen (Bildergalerie). An dem Pilgerweg beteiligen sich circa 500 Menschen. Die Teilnehmer werden von Bürgermeistern und Pfarrern der Gemeinden empfangen, durch die der Weg führt. Es gibt Andachten und Baumpflanzungen. Das Besondere aber bleiben die zahlreichen politischen Transparente, die sich gegen Militarisierung und Umweltverschmutzung, gegen Atomenergie und DDR- Abgrenzungspolitik richten.
Die Parolen lauten „Abrüstung auch in den Schulen und Kindergärten“, „Abschaffung der Wehrpflicht“ und „Für einen sozialen Friedensdienst“. Aufgrund der internationalen Beteiligung greifen die Sicherheitsorgane nicht ein. Wohl oder übel müssen sie die offenen Provokationen der Friedensaktivisten schlucken. Damit findet erstmals eine legale Friedensdemonstration der DDR-Opposition statt – wenn auch unter den Argusaugen der Stasi. (Über die DDR-Friedensbewegung und seine Teilnahme am Olof-Palme-Friedensmarsch berichtet der damals 21-jährige Rainer Müller im Zeitzeugen-Video.)
In vielen Städten der DDR – Weimar, Königswalde, Torgau, Saalfeld – nutzen die Demonstranten die Gelegenheit, mit kritischen Losungen auf die Probleme im Land aufmerksam zu machen. Es geht ihnen nicht nur um Frieden, sondern auch um Umweltschutz und die Einhaltung der Menschenrechte in der DDR. Der Leipziger Pfarrer Christian Führer organisiert einen Gesprächskreis „Hoffnung für Ausreisewillige“.
Einige Oppositionelle hoffen in diesen Tagen, in denen die Welt auf die DDR-Friedensbewegung schaut, auf wachsende politische Freiräume, um endlich die Gesellschaft mitgestalten zu können. Doch schon bald nach dem Ende des Olof-Palme-Friedensmarsches macht die Staatsführung ihre Hoffnungen zunichte: Sie lässt die Umwelt-Bibliothek Berlin durch die Stasi überfallen, ihre Mitarbeiter festnehmen und kostbare Druckutensilien beschlagnahmen.
So bleibt der Olof-Palme-Friedensmarsch die einzige legale Demonstration der Opposition in der DDR.
Zitierempfehlung: „Olof-Palme-Friedensmarsch“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145390
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Mit diesen Plakaten für die Abrüstung in der DDR bin ich die ganzen drei Tage zu Fuß bis zum Berliner Stadtrand marschiert. Ich konnte das Plakat frei tragen – selbst noch abends auf dem Weg zum Nachtquartier in der Berliner S-Bahn, wo ich es über meiner Schulter hatte. Ich habe es auch am nächsten Tag getragen, auf der Demonstration durch Berlin, und von dort wieder durch die S-Bahn nach Wittenberg, zur nächsten Station. Keiner hat was dagegen gesagt, dass ich ein Plakat für Abrüstung in der DDR jedermann zeigte: auf den Bahnhöfen, im Zug und überall. Das war vorher undenkbar gewesen.
Vorher sind Leute ins Gefängnis gekommen beziehungsweise wurden nach West-Deutschland abgeschoben. Und so war das eine sehr ermutigende Erfahrung: Es ist möglich, man ist nicht alleine, hat nicht nur die eigene Gruppe, sondern ganz viele Leute aus vielen Orten. Viele treffen sich und sind an derselben Sache dran, treffen sich und veranstalten etwas und unterstützen sich gegenseitig. Es gab viel Austausch untereinander, ständige, tagelange Gespräche. Jetzt konnten wir erleben, wie wir unsere Meinung frei sagen konnten. Endlich mal aus dem kirchlichen Rahmen und über die privaten Freundeskreise hinaus, in die Öffentlichkeit.
Rainer Müller, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de