Kontext
Internationales Geschehen
Der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Chruschtschow und der amerikanische Präsident John F. Kennedy sind Anfang der 1960er Jahre die beiden Gegenspieler auf der weltpolitischen Bühne. Beide stehen für einen politischen Neubeginn ihres jeweiligen Landes – natürlich jeder auf seine Weise.
Nikita Chruschtschow bringt einen neuen Führungsstil in die sowjetische Politik: Er geht unter Menschen, spricht frei und impulsiv. Er verspricht mehr Wohlstand, stoppt den Bau von Wolkenkratzern im Zentrum Moskaus und lässt Wohnblocks errichten. Der großflächige Maisanbau soll die Versorgungslücke beim Viehfutter schließen und genug Fleisch und Milch in die Läden bringen. Während die Erfolge bei der Lebensmittelversorgung auf sich warten lassen, feiert die Sowjetmacht Triumphe im Weltall: Am 12. April 1961 stößt der Kosmonaut Juri Gagarin das Tor zum Himmel auf. Er ist der erste Mensch im Weltall.
In der internationalen Politik deutet sich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zwischen den beiden Weltmächten zunächst Entspannung an. So verkündet die Sowjetunion 1956 das Prinzip der „friedlichen Koexistenz“, und 1959 reist mit Nikita Chruschtschow erstmals ein sowjetischer Regierungschef in die USA.
In den Ländern Südostasiens toben dagegen blutige Auseinandersetzungen zwischen westlich orientierten (oder neutralen) Regimes und kommunistischen Bewegungen. Auch der Prozess der Entkolonialisierung Afrikas und der Bildung neuer afrikanischer Staaten wird weiterhin von bewaffneten Auseinandersetzungen begleitet: einerseits zwischen den alten Kolonialmächten und nationalen Befreiungsbewegungen, andererseits zwischen unterschiedlichen ethnischen und politischen Gruppen.
In Frankreich führt die von Staatspräsident General Charles de Gaulle verfolgte Politik zu Putschversuchen und Attentaten hoher Militärs und Algerienfranzosen. Denn Charles de Gaulle will den Algerienkrieg dadurch beenden, dass er Algerien in die Unabhängigkeit entlässt. Als am 17. Oktober 1961 algerische Immigranten in Paris gegen den Algerienkrieg demonstrieren, geht die Polizei mit äußerster Brutalität vor und tötet nach heutigen Schätzungen etwa 200 Demonstranten.
Bei den Präsidentschaftswahlen in den USA löst John F. Kennedy 1960 den früheren Weltkriegsgeneral Dwight D. Eisenhower ab. Damit betritt eine jüngere Generation die politische Bühne. John F. Kennedy verspricht den Aufbruch zu neuen Horizonten, die Durchsetzung der Bürgerrechte für schwarze Amerikaner, die Bekämpfung der Armut und den Flug zum Mond.
Im Juni 1961 treffen sich Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy in Wien. Der Sowjetführer droht unverhohlen mit Krieg, falls die Amerikaner West-Berlin nicht aufgeben. Doch John F. Kennedy beharrt auf der Freiheit West-Berlins. Die Absperrung des Ostsektors sieht er hingegen als Angelegenheit der Sowjetunion an. Und so bleibt es bei verbalen Protesten der Westmächte, als der Mauerbau am 13. August 1961 beginnt. Weltpolitisch gesehen ist die Teilung Berlins ein Kompromiss, der allerdings auch die Sicherheit West-Berlins und seiner Zufahrtswege auf Dauer garantiert. Im Oktober 1961 kommt es zu einer gefährlichen Konfrontation zwischen amerikanischen und sowjetischen Panzern am Checkpoint Charlie in Berlin. Die Mächte stehen sich gefechtsbereit gegenüber.
Die Sowjetunion ruft den friedlichen Wettbewerb der Systeme aus. Ihr Ziel lautet Kommunismus; den Weg dorthin soll der wissenschaftlich-technische Fortschritt weisen. Der XXII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion legt im Oktober 1961 fest: „Die UdSSR erreicht die höchste Produktion in Industrie und Landwirtschaft in der Welt und übertrifft damit die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder. Es wird das Prinzip gelten: Jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Zunächst solle es die Grundnahrungsmittel unentgeltlich geben, dann sollen die Mieten und Strompreise und schließlich das Geld überhaupt abgeschafft werden. Jeder könne sich im Einkaufsladen aus der Überfülle des Angebots so viel mitnehmen, wie er brauche. Damit gehören Verbrechen, Gerichte und Gefängnisse der Vergangenheit an. Nach dem Wunsch der Parteiführung solle all dies bereits 1980 Realität werden.
Entgegen des verkündeten friedlichen Wettbewerbs beginnt die Sowjetunion im Mai 1962 aber, Mittelstreckenraketen auf Kuba zu stationieren, die atomare Sprengköpfe tragen können. Während der Kubakrise steht die Welt vor dem nuklearen Abgrund, bis die Sowjetunion den Forderungen der USA buchstäblich in letzter Minute nachgibt und die Raketen wieder abzieht. Im Gegenzug bauen die Amerikaner ihre Raketen in der Türkei ab. In Südvietnam verstärken die USA unterdessen ihre Militärpräsenz und greifen immer stärker mit eigenen Soldaten und Flugzeugen in die Kämpfe ein.
Deutschland Ost und West
Der Mauerbau am 13. August 1961 in Berlin und der beginnende Ausbau der deutsch-deutschen Grenze durch die DDR werden zum wichtigsten Ereignis der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte und wirken weit über das Jahr 1961 hinaus. Nach einer Welle staatlichen Terrors in den Monaten nach dem 13. August scheint sich das SED-Regime in der DDR zu festigen. Der aus der Bundesrepublik und West-Berlin unterstützte antikommunistische Widerstand findet mit dem Mauerbau sein Ende. Er wird nur noch in der sogenannten Republikflucht und in der Fluchthilfe aus dem Westen fortgesetzt. Die Hoffnung, das SED-Regime stürzen zu können, verliert sich weitgehend – und gleichermaßen das Vertrauen, hierfür vom Westen aus unterstützt zu werden.
„Wandel durch Annäherung“ heißt der Vortrag von Egon Bahr am 15. Juli 1963 vor der Evangelischen Akademie in Tutzing. Er signalisiert den Anfang vom Ende der konfrontativen Deutschlandpolitik der Bundesrepublik. Es kommt schließlich zur faktischen, wenn auch nicht staatsrechtlichen Anerkennung der DDR und zu einer Annäherung zwischen beiden deutschen Staaten. Der Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt (März 1970) markiert den direkten Verhandlungsbeginn zwischen den beiden deutschen Regierungen. Die Annäherungen erreichen mit dem Grundlagenvertrag von 1972 einen ersten Höhepunkt.
Jugend in der DDR
Die sich nach dem Mauerbau entwickelnde Jugendopposition in der DDR wird im Wesentlichen nicht mehr von dem Gedanken der Wiedervereinigung und der Hoffnung auf den Sturz des SED-Regimes bestimmt. Anknüpfungen und Traditionslinien zum Widerstand der 1950er Jahre gibt es nicht.
Stärker als zuvor beginnen Jugendliche, gegen einen autoritären Alltag, gegen staatliche und politische Bevormundungen zu rebellieren. Hierbei gibt es durchaus Parallelen zum rebellischen Verhalten der Jugendlichen in der Bundesrepublik und in anderen westlichen Demokratien. Die jungen Menschen in der DDR kämpfen um Freiräume für eine eigenständige Jugendkultur, bei der die Musik – wie bei der Jugendrebellion in den westlichen Demokratien – eine herausragende Rolle spielt.
Die Machthaber sind gekränkt, dass es gerade in der Generation jener, die von Kindesbeinen an in der DDR aufgewachsen sind, junge Menschen gibt, die sich nicht dem Ideal einer parteitreuen Staatsjugend unterwerfen wollen, wie sie von der Freien Deutschen Jugend repräsentiert wird. Als der Prager Frühling 1968 in der Tschechoslowakei niedergeschlagen wird, protestieren in erster Linie Lehrlinge, junge Arbeiter und Kinder der SED-Intelligenz. Das zeigt, wie attraktiv die Idee eines „Sozialismus mit menschlichen Gesicht“ auch unter kritischen Jugendlichen in der DDR ist – zumindest bis 1968.
Mit wenigen Ausnahmen sind bis zum Beginn der Friedlichen Revolution im Frühjahr/Sommer 1989 nicht die Wiedervereinigung Deutschlands und die Rückkehr zu einem bürgerlich-demokratischen Verfassungsstaat auf privatwirtschaftlicher Grundlage das Ziel jugendlichen Widerstands, sondern Veränderungen im eigenen Land.
Zitierempfehlung: „Kontext zum Portal Die Mauer muss weg!“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Oktober 2016, www.jugendopposition.de/145357