Schüler im Widerstand
Ab 1947/48 bilden sich an Oberschulen in der Sowjetischen Besatzungszone immer neue Widerstandsgruppen, besonders in den kleineren Städten Sachsens und Thüringens. Mit großem Mut bieten teils sehr junge Menschen der SED-Diktatur die Stirn. Damit gehen sie bewusst Risiken ein: Wer auffliegt, geht ins Gefängnis. Im schlimmsten Fall droht die Todesstrafe.
Die Methoden des Widerstands sind sehr einfach. Die Gruppen malen nachts mit Pinsel und Farbe Parolen an Wände, drucken oder schreiben Flugblätter und zünden Stinkbomben bei Veranstaltungen der SED (Bildergalerie). Eine Gruppe in Altenburg bastelt einen Radiosender und kommentiert die Festrede des Präsidenten Wilhelm Pieck zum 70. Geburtstag von Stalin kritisch. Viel Aufsehen erregt der Schüler Hermann Joseph Flade aus Olbernhau, der beim Verteilen von Flugblättern gefasst wird: Er wehrt sich bei seiner Festnahme mit einem Taschenmesser. Eine Widerstandsgruppe in Eisenberg zündet den Schießstand der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) an.
In einigen Fällen bestehen Kontakte zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), die von West-Berlin aus den Widerstand gegen die SED-Herrschaft unterstützt. Flugblätter, Plakate und Zeitschriften kommen überwiegend aus West-Berlin (Bildergalerie). Doch in keinem bekannten Fall kann die Rede davon sein, dass die Widerstandsgruppen aus West-Berlin geleitet werden.
Drangsal, Propaganda, Wahlbetrug? Nein danke!
Gründe für den jugendlichen Protest gibt es viele: Andersdenkende, die in der Schule drangsaliert werden, die stupide Propaganda der SED, die den gesunden Menschenverstand verhöhnenden Wahlen, deren Ergebnisse schon vorher feststehen. Die Empörung über dieses Unrecht und die offizielle Verlogenheit ist so groß, dass die Jugendlichen alle Bedenken über Bord werfen. Sie wagen die abenteuerlichsten Aktionen.
Der Widerstand ist vielfach von dem Gefühl getragen, anders handeln zu müssen als die Generation der Eltern, die die NS-Verbrechen oftmals widerspruchslos hingenommen hat. Viele DDR-Jugendlichen nehmen sich die Münchner Widerstandsgruppe Weiße Rose zum Vorbild. Hier schneidet sich die SED-Führung ins eigene Fleisch: Nimmt doch der Kampf der Geschwister Scholl gegen die NS-Diktatur in der antifaschistischen Erziehung der DDR besonders viel Raum ein.
Das soziale Milieu der Kleinstädte begünstigt offenbar die Widerstandsaktionen. Die jungen Rebellen stammen nicht selten aus gutem Haus und sind zum Beispiel die Kinder alteingesessener und angesehener Handwerker- oder Pfarrersfamilien. Es ist sogar ein Fall bekannt, in dem ein Volkspolizist die auf frischer Tat ertappten Jugendlichen nicht meldete. Ein Staatsanwalt erklärt später zum Eisenberger Kreis: „Streng genommen hätten wir die halbe Stadt festnehmen müssen.“
Zitierempfehlung: „Schüler im Widerstand“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145345