Zu Pfingsten 1987 findet in West-Berlin nahe des Reichstags ein dreitägiges Open-Air-Rockkonzert mit den Eurythmics, Genesis und David Bowie statt. Das ist nur wenige Meter von der Mauer entfernt, und so lauschen dem Rockereignis auch Tausende Jugendliche aus Ost-Berlin. Zu dieser Zeit sind solche Konzerte in der DDR noch undenkbar. Einerseits fehlt dem Staat das Westgeld, um die hohen Gagen der Weltstars zu bezahlen, andererseits ahnt die DDR-Führung, welch gefährliches Potenzial in der unkontrollierten Ansammlung Zehntausender Jugendlicher besteht. Zahlreiche Studien und Einschätzungen, die vor allem die Stasi im Auftrag der SED anfertigt, zeigen, dass der „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ immer mehr den Rückhalt in der Jugend verliert. Die ist nicht mehr am Klassenkampf und am Aufbau des Sozialismus interessiert, sondern geht ihren eigenen Weg – mit Blick in die westliche Welt.
Nachdem es nahe des Grenzstreifens am Brandenburger Tor schon vor Konzertbeginn zu Rangeleien mit der Volkspolizei gekommen ist, werden im Verlauf des Abends auch Einheiten der Stasi eingesetzt. Sie sollen die Jugendlichen mit Gewalt von den Grenzanlagen fernhalten. Bei vielen, die tatsächlich nur wegen der Musik an die Mauer gepilgert sind, kippt die Stimmung angesichts der bewaffneten Staatsmacht. Bald skandieren die Ersten: „Weg mit der Mauer!“ Aus Bowie-Fans werden Systemgegner. Deutlicher lässt sich die Verbindung von Rock und Opposition kaum zeigen.
Punkkonzerte und Hausbesetzungen in der DDR
Es sind auch die Jugendlichen, die seit den frühen 1980er Jahren Häuser besetzen. Die Besetzung von Ost-Berliner Wohnungen und Häusern, wie in der Schönhauser Allee 20 und der Fehrbelliner Straße 7 (beide im Prenzlauer Berg), geschieht nicht nur wegen des allgemeinen Wohnungsmangels in der DDR. Die Jugendlichen suchen auch Rückzugsgebiete, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Es ist ein stiller Protest gegen die bürgerliche Lebensweise und die desaströsen Wohnbedingungen in der DDR.
Die auffälligste Gruppe der opponierenden Jugendlichen sind die Punks. Gegen ihre Ausgrenzung, Diffamierung und strafrechtliche Verfolgung durch den Staat engagieren sich einige kirchliche Mitarbeiter der sogenannten Offenen Jugendarbeit. Die Punks treffen sich in der Evangelischen Kirche und veranstalten in den heiligen Hallen Punkkonzerte. Die Bands geben sich provozierende Namen wie Planlos (Berlin), Wutanfall (Leipzig), Virus X (Rostock), Schleimkeim (Erfurt) oder Namenlos (Berlin). Zu den Konzerten, die durch Mundpropaganda oder eine Handvoll selbst gedruckter Flugblätter beworben werden, kommen oft Hunderte Jugendliche.
So spielen am 17. Oktober 1987 die ostdeutsche Band Firma, bei der zwei Inoffizielle Mitarbeiter (IM) mitmachen, und die Westberliner Rock-Band Element of Crime in der Zionskirche. Nach diesem Konzert überfallen 30 Ost- und Westberliner Neonazis die abwandernden Konzertbesucher und beschimpfen sie mit Naziparolen. Sie schlagen auf sie ein und versuchen, in die Kirche einzudringen. Die anwesende Polizei, die wegen der vielen jugendlichen Konzertbesucher vor Ort ist, schreitet nicht ein. Die DDR-Presse schweigt den Vorfall zunächst tot. Neonazis passen nicht zum offiziellen Selbstbild der DDR: Sie soll schließlich ein Hort des Antifaschismus sein.
Durch die Beteiligung der West-Band sowie der West-Nazis ist das Medienecho im Westen groß. Und weil es auch in der DDR vielfältige Unmutsbekundungen gibt, greifen die DDR-Medien den Vorfall schließlich auf. Die Täter werden angeklagt und verurteilt. Ein rechtsstaatliches Verfahren findet nicht statt. Das Urteil wird diktiert und steht schon vor dem Prozess fest.
Auch die DDR hat ein Neonazi-Problem
Das Problem jugendlicher Neonazis wurde in der DDR bislang totgeschwiegen. Mit Beginn der 1980er Jahre tauchen die sogenannten „Scheitel“ und „Glatzen“ immer häufiger im Straßenbild auf. Sie kommen vielfach aus gutbürgerlichen Elternhäusern und organisieren sich teilweise sogar in der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Sie geben sich diszipliniert und treten vor allem dann in Erscheinung, wenn es darum geht, Punks und Ausländer zu verprügeln. Gern mischen sie bei Schlägereien nach Fußballspielen mit.
Ende der 1980er Jahre werden Zerstörungen auf jüdischen Friedhöfen bekannt. In das verbreitete Bild des antifaschistischen Staates passen die Skinheads und Neonazis nicht hinein. Doch die Stasi kümmert sich nicht um diesen Widerspruch. Im Gegensatz zu den Punks und anderen linken Jugendgruppen werden die Nazis als arbeitswillige und disziplinierte Jugendliche betrachtet, über deren brutales Vorgehen gegen „Asoziale“ schon mal hinweggeschaut wird. (Über seine persönlichen Erfahrungen mit den verschiedenen Jugendszenen in Berlin-Marzahn berichtet Frank Ebert im Zeitzeugen-Interview.)
Hans-Dieter Schütt, der Chefredakteur der Jungen Welt, dem Zentralorgan der FDJ, veröffentlicht am 13. Dezember 1987 einen Artikel, in dem er Aktivisten der Mahnwache an der Zionskirche mit Neonazis gleichsetzt. Diese Mahnwache findet statt, um gegen die Verhaftungen von Mitgliedern der Umwelt-Bibliothek (UB) im November 1987 zu protestieren. Gegen Schütts demagogischen Artikel reagieren zahlreiche, auch vollkommen unbeteiligte Bürger und Gruppen mit Protestbriefen.
Diese Gleichsetzung von Nazis mit den Mitgliedern der Mahnwache wird als Unverschämtheit empfunden. Jugendmitarbeiter der Evangelischen Landeskirche Sachsen schreiben an die Kirchenleitung und fordern deren Einsatz, damit Hans-Dieter Schütts Artikel entweder öffentlich zurückgenommen oder eine Gegendarstellung des Stadtjugendpfarrers Wolfram Hülsemann veröffentlicht wird.
Zitierempfehlung: „Alternative Jugendkultur in der DDR“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145324
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„In Marzahn bin ich zwischen '80 und '86 oder '87 gewesen. Das war von der Szene her schon ganz witzig. Später gab es dann die Auseinandersetzungen zwischen Punks und Skinheads und Grufties und Teds, und was es nicht alles gab. Das war immer ganz spaßig, weil ausgerechnet in Marzahn, wo eigentlich die Aggressionen in den Clubs ziemlich stark waren, ausgerechnet in Marzahn hatten wir es irgendwie geschafft, dass die Leute mehr oder weniger zusammenhielten. Es war egal, ob Skinhead oder Punk. Man kannte sich aus der Schule, und es war völlig albern, das wirklich zu thematisieren. Das wurde gar nicht gemacht.
Was später wichtig war, als ich in die Umwelt-Bibliothek gekommen bin, das waren eher die Jenaer Ereignisse, also '81 bis '83. Ich kannte Roland Jahn nicht persönlich, aber ich wusste: Irgendwie hängt das zusammen mit den Leuten in Halle um Lothar Rochau herum. Und auch um meine Schwester herum. Und so hatte ich Informationen. Als die Leute dann doch im Westen waren, musste ich, weil meine Schwester in Halle geblieben war, immer in West-Berlin anrufen, weil die dann wieder zurückrufen konnten. Das war ein Ortsgespräch, und es ging immer irgendwie um: Was braucht ihr?`, und darum, dass man die Ostpakete in den Westen schickte: Sofixpulver, Jesuslatschen. Manchmal hat es geklappt, meistens kam es zurück.
Man hat ja so einen gewissen Gerechtigkeitssinn. In der Schule wurde das zum Teil auch thematisiert: Die bösen Menschen wollen hier alles nur kaputt machen. Du kennst sie. Du kriegst mit: Hier ist von vorn bis hinten alles gelogen. Das politisiert natürlich. Da mischt man sich ein. Politisieren insofern, als man widerspricht. Sozusagen als Reaktion darauf, die Reaktion auf den Widerspruch.“
Frank Ebert, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de