Von wegen Frieden – Militarisierung im Friedensstaat DDR
Wie auf allen anderen politischen Gebieten beansprucht die SED auch im Hinblick auf das Friedensengagement das Deutungsmonopol. Für sie ist die DDR ein „Friedensstaat“, gegründet von friedliebenden, antifaschistischen und fortschrittlichen deutschen Kräften, gemäß der marxistischen Theorie der Einheit von Frieden und Sozialismus. Im Gegensatz dazu steht in ihren Augen die „imperialistische“ Bundesrepublik.
Offiziell begrüßt die DDR deshalb die seit Anfang der 1980er Jahre immer stärker anwachsende Friedensbewegung in den westlichen Ländern. Sie versucht sogar, über die Deutsche Kommunistische Partei im Westen, direkten Einfluss auf Friedensaktionen zu nehmen. Doch im eigenen Land will die SED-Führung eine Friedensbewegung verhindern.
Für einen Staat, der laut offizieller Linie nie etwas anderes anstrebt, als den Frieden in der Welt, hat die DDR einen stark militärisch geprägten Alltag. Zum alltäglichen Straßenbild gehören Uniformen der Volkspolizei, Nationalen Volksarmee (NVA), Kampfgruppen, der Gesellschaft für Sport und Technik, Stasi und Transportpolizei. Schon in den Kindergärten und Grundschulen werden Kinder mit militärischen Grundbegriffen vertraut gemacht. Erstklässler treten vor Einheiten der NVA auf und singen:
„Soldaten sind vorbeimarschiert im gleichen Schritt und Tritt. Wir Pioniere kennen sie und laufen fröhlich mit. Gute Freunde, gute Freunde in der Volksarmee. Sie schützen unsre Heimat, zu Land, zu Luft und auf der See, juche!“
Die DDR: Ein „Friedensstaat“, der seine Kinder kaserniert
Schon den Kleinsten will die Partei das Soldatenleben schmackhaft machen. Dazu dienen Besuche bei sogenannten Pateneinheiten der Armee und das jährlich stattfindende Manöver „Schneeflocke“, bei dem Kinder militärische Operationen im Gelände üben.
Ein wichtiger Schritt hin zur weiteren Militarisierung der Gesellschaft ist der Wehrkundeunterricht, der am 1. September 1978 eingeführt wird. Ab der neunten Klasse werden Jungen wie Mädchen mit der Waffentechnik der NVA und der Bruderarmeen des Warschauer Vertrags vertraut gemacht. Mit regelmäßigen mehrtägigen Lehrgängen, bei denen die Jugendlichen kaserniert untergebracht werden, bereitet man die Jungen auf ihren Dienst an der Waffe und die Mädchen auf ihre Rolle als Sanitäterinnen vor. Diese Art der vormilitärischen Ausbildung gehört auch zu den Pflichtveranstaltungen während der Lehre und des Studiums.
Es ist besonders diese Militarisierung des Kinder- und Jugendalltags, die heftigen Widerspruch in Kirche und Opposition hervorruft. Wer dagegen protestiert, muss sich von offizieller Seite fragen lassen, ob er gegen den Frieden sei. Pazifisten, so die SED-linientreue Argumentation, würden den imperialistischen Kriegstreibern in die Hände arbeiten. Sie würden die ruhmreiche Sowjetarmee verunglimpfen und wichen damit vom geraden Weg des Antifaschismus ab. Somit seien sie nicht würdig, verantwortungsvolle Aufgaben im Staat zu übernehmen. Die Folgen für Widerspruch sind oft Bildungs- und Berufsverbote oder andere Repressalien.
Neben den staatlich verordneten Friedensaktivitäten – wie etwa dem 1982 gestarteten Musikfestival Rock für den Frieden – duldet der Friedensstaat kein selbständiges Engagement. Das bekommen unter anderem all jene zu spüren, die sich mit Ansteckern der West-Friedensbewegung schmücken oder sich einen Aufnäher mit dem „Schwerter zu Pflugscharen“-Symbol an die Jacke heften.
Zitierempfehlung: „Von wegen Frieden – Militarisierung im Friedensstaat DDR“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145331