Der Machtantritt Michail Gorbatschows in der Sowjetunion 1985 und der von ihm ausgelöste grundlegende Systemwandel ist ein wichtiger Schritt hin zum Ende des „real existierenden Sozialismus“ in Europa. Doch schon zuvor zeigen beispielsweise die Unruhen in der Volksrepublik Polen, dass das sozialistische System in einer schweren Krise steckt. So sehr sich die alten Partei- und Staatschefs auch dagegen sträuben: Die Umbrüche beim großen Bruder Sowjetunion führen zu einem gewaltigen Druck, Reformen auch in ihren Ländern zuzulassen.
Zuerst kollabieren die sozialistischen Systeme in Ungarn und Polen. Der Zusammenbruch ihrer sozialistischen Gesellschaftsordnungen ist mit einer Öffnung der Länder nach Westen verbunden. So beginnen ungarische Soldaten am 2. Mai 1989 mit dem Abbau der elektronischen Sicherungsanlagen und Stacheldrahtzäune an der Grenze zu Österreich. Das Land verabschiedet sich damit endgültig aus dem sozialistischen Lager. Und es eröffnet Tausenden von DDR-Bürgern eine neue Fluchtmöglichkeit in Richtung Westen.
Im Juni 1989 werden Vertreter der Arbeitergewerkschaft Solidarnosc in die polnische Regierung gewählt. Im Herbst und Winter 1989 brechen die sozialistischen Regierungen der DDR, der Tschechoslowakei, Rumäniens und Bulgariens unter dem Druck ihrer Bevölkerung zusammen. Innerhalb kurzer Zeit und auf zumeist friedlichem Weg zerfällt das sozialistische Lager in ganz Europa – politisch und wirtschaftlich. Die Sowjetunion als Vielvölkerstaat löst sich auf. Es bilden sich neue souveräne Staaten innerhalb ihrer alten Grenzen. In den 1990er Jahren stehen schließlich nur noch vier letzte Bastionen des Kommunismus in der Welt: China, Nordkorea, Vietnam und Kuba.
In der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1989 setzen die chinesischen Kommunisten der Demokratiebewegung in ihrem Land ein blutiges Ende: Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking verursachen sie ein Blutbad gegen Tausende Demonstranten, das die ganze Welt schockiert.
Die fast 45 Jahre die Welt beherrschende Ost-West-Block-Konfrontation kommt zu einem Ende. Und mit ihr die vielen Stellvertreterkriege in der Dritten Welt, in denen die alten Supermächte USA und Sowjetunion jeweils die Konfliktparteien unterstützen. Es keimt die Hoffnung auf, dass die Welt fortan friedfertiger werden könnte.
Einer der vielen Ost-West-Stellvertreterkriege tobt ab 1975 in Angola. Hier kämpfen zeitweilig bis zu 50.000 Kubaner aufseiten der marxistisch-sozialistischen Volksbewegung gegen die von den USA unterstützten Verbände verschiedener nationaler Bewegungen und gegen Truppen des südafrikanischen Apartheidregimes. Ein 1988 abgeschlossener Vertrag leitet den Rückzug Südafrikas und den kubanischer Truppen aus Angola ein.
Im Dezember 1989 marschieren US-amerikanische Truppen in Panama ein und stürzen den Präsidenten General Manuel Noriega. In Nicaragua wird im selben Jahr der Krieg zwischen den Contras und der sandinistischen Regierung beendet. Der Friede kommt durch Vermittlung der zentralamerikanischen Staaten zustande.
Deutsch-deutsches Verhältnis
Die innerdeutschen Beziehungen verbessern sich weiterhin. Im April 1989 besucht der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) die DDR und verhandelt über die Errichtung eines dritten Grenzübergangs zwischen Niedersachsen und der DDR. Man trifft Vereinbarungen über den „kleinen Grenzverkehr“, die Besuchsreisen für die Bewohner Hamburgs und Kiels in die DDR erleichtern. Im Mai 1989 spielen die Berliner Philharmoniker erstmals in Ost-Berlin, und der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Walter Momper, trifft im Juni 1989 mit Erich Honecker zusammen. Man handelt Reiseerleichterungen für Westberliner aus.
Deutsche Demokratische Republik
Die DDR-Führung geht ab 1987 deutlich auf Distanz zur Reformpolitik Michail Gorbatschows. Die DDR, so die offizielle Begründung, habe im Gegensatz zur Sowjetunion keinen Reformbedarf. Tatsächlich sieht es aber ganz anders aus: Die DDR steht kurz vor dem wirtschaftlichen und finanziellen Kollaps, und wöchentlich erhöht sich die Zahl der Ausreiseanträge. Im Sommer 1989 haben 120.000 Bürger solche Anträge gestellt. Noch dramatischer für die SED-Führung ist die im Sommer beginnende Fluchtwelle von DDR-Bürgern über Ungarn und Polen – mit der regelrechten Belagerung der bundesdeutschen Botschaften in Warschau und Prag. So geht es bei den innerdeutschen Verhandlungen bald nicht mehr um Reiseerleichterungen für Bundesbürger, sondern um die Ausreise Zehntausender DDR-Bürger, die in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei nur darauf warten, ihr Land verlassen zu können.
Die starre, reformunfähige Haltung der DDR-Staatsführung zeigt sich noch einmal deutlich in der offensichtlichen Fälschung der Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989. Außerdem applaudiert die Partei demonstrativ der blutigen Niederschlagung der chinesischen Studentenbewegung im Juni 1989. Die Führung hat den Kontakt zu ihrem Volk endgültig verloren.
Die offiziellen Jubelfeiern zum 40. Jahrestag der DDR werden zum Fiasko. In den Straßen Ost-Berlins, Leipzigs und in anderen Städten demonstrieren Zehntausende gegen den Staat. Als am 9. November 1989 die Mauer fällt, ist das Schicksal des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“ besiegelt. Im März 1990 folgen freie Wahlen, im Juli 1990 wird die D-Mark offizielles Zahlungsmittel in der DDR, und am 3. Oktober 1990 endet die Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik.
Jugendkultur in der DDR
Fernab der offiziellen Kulturangebote entwickelt sich Mitte der 1980er Jahre in der DDR eine äußerst lebendige Musik- und Kulturszene. Eine wichtige Rolle dabei spielen Bands wie Herbst in Peking, Namenlos, Skeptiker oder Feeling B, die meistens Punkmusik spielen und sich nicht um Konventionen oder staatliche Vorschriften scheren.
Dem Staat entgleitet, trotz massiver Gegenmaßnahmen wie z. B. Auftrittsverboten, immer mehr die Kontrolle über die Szene. Für manche Jugendliche sind der Irokesenschnitt und die Lederjacke nicht nur das Symbol der Ablehnung bürgerlicher Werte, sondern vor allem ein Erkennungsmerkmal für die Gegnerschaft zum Staat. Viele Konzerte von unangepassten Bands finden in Kirchenräumen statt, in denen die staatliche Kontrolle nur teilweise greift.
Offizielle staatliche Kulturangebote – so finden 1987/88 in Berlin unter anderem Großkonzerte mit Bob Dylan und Bruce Springsteen statt – werden von vielen Jugendlichen wahrgenommen. Und doch gelingt es FDJ und SED nicht annähernd, ihr Kulturmonopol zu halten.
Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik gewinnen die Grünen weiter Terrain. Die letzten Wahlen in West-Berlin vor der Wiedervereinigung am 29. Januar 1989 schaffen durch Stimmgewinne von SPD und Alternativer Liste (AL) die Voraussetzungen für die Bildung einer rot-grünen Landesregierung. In ihrem Wahlprogramm fordert die AL unter anderem die Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft.
Im Januar 1989 beschließt der Bundestag die Verlängerung des Grundwehrdienstes von 15 auf 18 Monate, setzt die Neuregelung jedoch kurz darauf für drei Jahre aus. Beim Treffen der Landsmannschaft Schlesien im Juli 1989 bekräftigt der CSU-Vorsitzende Theo Waigel den unveränderten Anspruch auf die zu Polen gehörenden Gebiete östlich von Oder und Neiße. Und ab August 1989 verzichten die Zeitungen und Zeitschriften des Axel Springer Verlags darauf, den Begriff „DDR“ in Anführungszeichen zu setzen – die Anerkennung der DDR durch den Springer-Verlag kurz vor ihrem Zusammenbruch. All dies sind Hinweise darauf, wie wenig die politischen Kräfte und die Medien in der Bundesrepublik Deutschland auf die kommenden und sich überschlagenden Entwicklungen vorbereitet sind, die kaum ein Jahr später zur Wiedervereinigung führen.
Zitierempfehlung: „Kontext zum Portal Revolution“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Mai 2017, www.jugendopposition.de/145313