Abschrift
Jochen Läßig, das war seine Idee. Er hat ja auch tatsächlich von Straßenmusik gelebt. Und es ist ganz simpel entstanden, dass er eben schon so viele Geldstrafen hatte und sich gedacht hat: „Okay, wie kann ich ein paar Fliegen mit einer Klappe schlagen? Also erstens das Geld für die Geldstrafen zusammenkriegen, aber auch etwas Tolles machen, was der Öffentlichkeit zeigt, in was für einem Land wir eigentlich leben?“ Und das Straßenmusik Festival ist ja wirklich ein Symbol geworden. Wir haben dann darüber gesprochen: Wie planen wir das? Wie machen wir das, dass wir Lebensfreude auf die Straße bringen? Theater, Musik, dass die Leute wirklich ein ganz tolles Gefühl haben. Und dann wird der Staat reagieren, wie er immer reagiert. Er wird das also brutal abräumen. Was entsteht bei den Leuten für ein Bild? Wenn die dann denken: „Okay, das waren ja jetzt hier keine Kriminellen. Das war einfach pure Lebensfreude und der Staat hat das nicht zugelassen. Meine Güte, was ist hier eigentlich los?“ Diese Rechnung ist ja wirklich aufgegangen. Das war – muss man sich vorstellen – von langer Hand vorbereitet, fast ein Jahr. Jedem Musiker oder jeder Theatergruppe, die wir eingeladen haben, konnte ja nicht ein Brief geschrieben werden oder telefoniert werden. Wir mussten hinfahren und die persönlich davon überzeugen, einladen, sagen: 10. Juni, 10:00 Uhr an der Mädler-Passage. Und die Leute haben sich darauf verlassen. Wir waren ja praktisch auch eine Band, ein Teil von uns; also Jochen Läßig, die Freundin von Rainer Müller, ich, Gesine Oltmanns. Wir waren ja auch ein Teil einer Musikgruppe, die Musik gemacht und damit gelebt hat. Und diese ganzen Musiker und Theaterleute haben sich drauf verlassen: „Okay, wenn ihr das Festival eröffnet, dann kommen wir vielleicht. Wir gucken mal, vielleicht machen wir mit.“ Das war eine Vorbereitung von einem Jahr, wo wir nicht wussten, was kann das werden? Kann das klappen? Und es kann natürlich auch nur klappen, wenn wir den Staat richtig einschätzen. Denn wenn er das Straßenmusik-Festival einfach laufen lässt, dann wird jeder nach Hause gehen, ganz glücklich sein und sagen: Toll, was in unserem Land alles möglich ist. Das heißt, man muss auch sagen, auch hier in der Planung dieses Events war ja etwas drin, was eigentlich ein bisschen zynisch war. Denn um das Bild entstehen zu lassen, mussten wir damit planen, dass der Staat hoffentlich genau tut, was er immer tut. Und das möglichst hart beendet, damit dieses Bild entstehen kann. Das hat er wirklich getan und man weiß heute, dass das sicherlich so ein Dreh- und Angelpunkt für die Leipziger war, sich das erste Mal auch stark mit uns zu verbinden. Und wir wissen auch, dass die Friedensgebete stark in dem Jahr Zulauf gewonnen haben, wo die vorher nur überschaubar waren und an Zuwachs klein waren, sind die in diesem letzten Jahr eigentlich groß geworden. Es sind viele Leute da hingegangen und man kann sicherlich sagen, dass nach dem Straßenmusik-Festival, wir auch von vielen Leipzigern getragen wurden, die erkannt haben: „Okay, das sind keine Kriminellen. Das sind wirklich Leute, die etwas wollen und im Grunde finden wir das auch gut, was die machen.“ Also da entstand ja das erste Mal auch eine Solidarität mit uns auf der Straße. Und später hat man ja nicht umsonst gesagt, das war praktisch der Testlauf für die Friedliche Revolution.