Abschrift
Ich bin nach Leipzig gekommen, das erste Mal für meine Aufnahmeprüfung und auch selbst, obwohl das absolute Innenstadt war, da wo das Theologische Seminar lag: Du fuhrst eine halbe Stunde mit dem Fahrrad dahin, und du hattest ein schwarzes Gesicht. Das war einfach so, das war mein erster Eindruck von Leipzig. Der ist dann auch viele Jahre noch so geblieben. Und ich habe später in viel schlechteren Wohnvierteln gewohnt, wo der Zustand der Stadt so war, wie man sich das nach dem Zweiten Weltkrieg so vorgestellt hat, bildhaft. Also wenn man die Aufnahmen sieht, wo ich gewohnt habe: Mariannenstraße, Meißner Straße, und das sind Aufnahmen aus dem Jahre 1988/1989. Immer wenn die gezeigt werden und Leute aus Westdeutschland die sehen, dann sagen sie: „Oh Gott, das sieht ja aus wie nach dem Krieg.“ Ja, genau. Also wirklich Fassaden, wo die Hälfte fehlt, wo Fenster fehlen und mit Pappe ersetzt sind. Also ich habe in einem Haus gewohnt, wo die Wohnung neben mir schon nach unten abgestürzt war. Heute wäre so was eigentlich baupolizeilich gesperrt gewesen, aber das war eben nicht so. Insofern hatte ich einen klaren Eindruck von Verfall und Dreck, und Leipzig war auch einfach eine Industriestadt. Das konnte man riechen. Da gab es gar keine Fragen.