Abschrift
Wir haben gesagt: ´Lasst die Genossen demonstrieren, lasst die da ihre Feierstunde abhalten`. Das war ja jedes Jahr am 15. Januar, zum Todestag. ´Wir machen unsere eigene Demo`. Da haben wir Flugblätter gedruckt, 12.000 Stück. Das war eine wahnsinnige Leistung damals, denn es gab ja kein Papier, keine Druckmaschinen. Es gab aber Druckmaschinen in kirchlichen Einrichtungen, die wir genutzt haben, manchmal ohne Wissen des Pfarrers. Wir haben dann gesagt: ´Wir müssen mal was drucken, gib uns mal deine Druckmaschine`. Die Flugblätter haben sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verteilt. Am 11. Januar, in Hausbriefkästen, an Straßenbahn-Haltestellen. Das waren damals zwölf Leute.
Wir haben zu dieser Demonstration aufgerufen und gesagt: ´Es gibt keine Meinungs-, es gibt keine Presse-, keine Versammlungsfreiheit in der DDR`. Alles Sachen, die Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg damals gefordert hatten. Die DDR berief sich ja immer auf die. Sie sagten: ´Das sind unsere Vorbilder`. Na bitte, dann lasst das doch mal zu! Das Problem war aber, dass ein Inoffizieller Mitarbeiter bei dieser Aktion mit verteilt hat. Der hat am nächsten Tag ein Telegramm nach Berlin geschickt, in dem er alles berichtet und alle Namen genannt hat. Aber ich glaube, das war nicht der Anlass, richtig dagegen einzuschreiten. Vielmehr wurden zwei Leute auf frischer Tat von der Polizei ertappt. Die hat die Flugblätter gefunden. Dann ging die Maschinerie los. Wir sind fast alle einen Tag später verhaftet worden.
Was passiert am 15.1.89? Wir haben diesem Tag im Gefängnis entgegen gefiebert. Kommen da Leute, findet da irgendetwas statt? Wird es öffentlich gemacht, oder versauern wir jetzt hier? Passiert das, was sie uns angedroht haben? Fünf Jahre Haft, das war es, was über uns schwebte. Wir wussten natürlich: Es gibt eine Solidarität und Leute, die sich darum kümmern werden. Aber wir wussten nie, wie es ausgeht. Die Hilflosigkeit in diesem Gefängnis ..., man wusste nicht, wann man wieder herauskommt. Am 15.1. war früh eine Vernehmung. Der Vernehmer sagte: ´Hoffen Sie bloß, dass heute nichts passiert`. Wir haben es natürlich genau umgedreht gehofft. Wir haben gehofft, dass die Leute auf die Straße gehen.
Und die Demo fand wirklich statt, das war das Erstaunliche. 800 Leute haben sich zu einer politischen Demonstration getroffen. Es gehörte schon ein bisschen Mut dazu, dahin zu gehen und sich offiziell zu outen, zu sagen: ´Ich mach jetzt hier mit!`. Ein Freund von uns, Fred Kowasch, der 1989 ausgereist ist, hat eine Rede gehalten. Er stellte sich auf die Brüstung des Untergrundmessehauses und hielt eine Rede. Er forderte die Freilassung der Inhaftierten und eine politische Reform. Nach zehn Tagen Untersuchungshaft sind wir durch den großen nationalen und internationalen Druck wieder frei gekommen. Die Ermittlungsverfahren wurden am 29. Januar 1989 eingestellt.
Uwe Schwabe, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de