Abschrift
Es haben dort 230 Leute gewagt, in der Öffentlichkeit an dem Fluss entlang zu ziehen, ihre Transparente und große Tafeln mitzuführen, gemeinsam an vielen Stationen Rast zu machen. Einige Leute hatten am Tag zuvor Wasserproben genommen, so dass man plötzlich sehen konnte: Das Wasser, das aus dem Fluss entnommen wurde, war grau, braun, schmutzig, flockig, ganz verunreinigt. Das konnte man mit einem Glas voll sauberem Trinkwasser vergleichen. Beides soll Wasser gewesen sein, aber das eine war ein chemisch toter Fluss voller Phenole. Dort konnte nicht mal mehr ein Fisch leben.
Die staatlichen Organe, sowohl Staatssicherheit als auch Polizei, haben sich zurückgehalten. Sicherlich werden Leute der Staatssicherheit in unserem Zug mit gelaufen sein, aber sie standen unauffällig herum: an den Kanten, an den Ecken, an den Brücken. Da standen die Herren mit ihren Turnschuhen, mit ihren kleinen Täschchen, in Zweiergrüppchen. Aber sie haben sich zurückgehalten und darauf beschränkt, zu beobachten. Für uns selbst war es die Erfahrung, dass es möglich ist, Stück für Stück, mit wenigen Leuten, unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Zunächst mit kleinen Plakaten, kleinen Aktionen, kleinen Symbolen.
Man konnte mit dem Zeigen eines schmutzigen Glases Wasser Sachen in die Öffentlichkeit bringen, die vorher nur innerhalb kirchlicher Gruppen gelaufen sind. Innerhalb kirchlicher Räume, von Freundeskreisen, Stammtischen. Das war eine ermutigende Erfahrung: Wir müssen diesen Schritt gehen – aus der kirchlichen Öffentlichkeit hinein in die Gesellschaft.
Rainer Müller, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de