Abschrift
Es gab verschiedene Systeme im Ministerium für Staatssicherheit. Die verdeckte Beobachtung, von der man wirklich nichts mitbekommen hat. Das kann man heute alles nachlesen, in Aktenordnern, in Beobachtungsprotokollen: ´9:07 Uhr: öffnet seine Balkontür. 10:15 Uhr: Licht wird gelöscht. 23:25 Uhr: Auf dem Balkon brennt eine Kerze`. Alle Tage lang saßen da sechs Leute in der Nähe meiner Wohnung. Die haben zweiachsige Bauwagen hingestellt, von wo aus sie kontrolliert haben. Es gab einen Kindergarten bei mir gegenüber, da hatten sie ein konspiratives Zimmer, in das sie jeder Zeit hinein konnten. Es ist schon interessant, mal nachzulesen, was die da alles gemacht haben.
Es gab auch schöne Aktionen: Einer hat mich immer verfolgt, wenn ich mit dem Fahrrad gefahren bin. An bestimmten Strecken konnten sie nicht mit dem Auto hinterher, weil ich durch den Park von Leipzig gefahren bin. Da hatten sie große Schwierigkeiten, mich nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Irgendwann sind sie mal auf die geniale Idee gekommen, mir einen Stasi-Mann auf dem Fahrrad hinterher zu schicken. Das Problem war nur: Er hatte ein kleines Klappfahrrad, und ich hatte so ein 28-er Rennrad. Der ist mir nie hinterher gekommen. Man hat auch ein bisschen Katz-und-Maus-Spiel mit denen gemacht.
Manchmal, wenn sie mich verfolgt haben, hab ich das mitbekommen. Da bin ich in die Seitenstraße abgebogen, und die konnten nicht, weil es eine Einbahnstraße war. Dann stand ich auf einmal hinter denen und hab ihnen aufs Dach geklopft. Man sollte das merken, um eingeschüchtert zu werden. Aber viele Sachen hat man gar nicht mitbekommen. Man hat immer Angst gehabt, weil man nie wusste, was passiert. Landet man irgendwann im Stasi-Knast? Verschwindet man irgendwann von der Bildfläche? Diese Art der Zersetzung hat das MfS [Ministerium für Staatssicherheit] ja gut betrieben. Es gab einen Unterschied zu den 1960er Jahren. Da wurde man einfach von der Straße weggefangen und zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt. Das hat man sehr aggressiv betrieben.
In den 1980er Jahren ist man eher psychologisch geworden. Es gab sogar eine psychologische Schule in Potsdam, wo man das richtig gelernt hat, wie man Leute psychologisch kaputt machen kann. Zum Beispiel dadurch, dass man gemerkt hat, dass man ständig bewacht wird. Es wurden Gerüchte in die Welt gesetzt: ´Das ist ein Inoffizieller Mitarbeiter [IM], da müssen Sie aufpassen`. Andere IM haben diese Gerüchte in die Welt gesetzt. Es war sehr schwer, dies zu entkräften. Man konnte es ja nicht beweisen. Die haben schon sehr perfide gearbeitet. Da hatte man immer Angst. Aber irgendwann wird die Wut und die Trauer so groß, dass man das ignoriert oder überwindet und sagt: ´Nein, das geht einfach nicht mehr so weiter. Man muss aktiv werden`.
Uwe Schwabe, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de