Abschrift
Durch die Ereignisse 1988 haben wir gesagt, dass wir diese engen Kirchenmauern durchbrechen müssen. Dass wir aus den Kirchen heraus müssen, um mehr Leute erreichen. Die Leute haben dann verstärkt Aktionen in der Öffentlichkeit gemacht. Die erste große, die wir gemacht haben, war der ´Pleiße-Gedenkumzug` Pleiße, muss man dazu sagen, ist ein Fluss in Leipzig, der 1956 verrohrt wurde. Der wurde in der ganzen Innenstadt zugeschüttet, mit Rohren bedeckt, damit man diesen Gestank und diesen Dreck nicht mehr sehen musste.
Das war für uns ein Synonym für die Umweltverschmutzung in der DDR. Wir haben gesagt: ´Wir machen jetzt einfach mal einen Gedenkumzug und erinnern uns, dass es 1953 noch ein Fluss war, in dem man angeln konnte, in dem Kinder gebadet haben`. Wir haben eine Veranstaltung an der Pleiße gemacht, auf der wir darüber informiert haben. Das wurde vom MfS [Ministerium für Staatssicherheit] sehr kritisch betrachtet, aber sie sind nicht eingeschritten. Es waren vielleicht 40 Leute, die sich getroffen haben. Wir hatten damals Flugblätter und Informationszettel gedruckt. Das war die erste Aktion, und das war für uns ein Riesenerfolg: Das MfS schreitet nicht ein, wir können dort an der Pleiße entlang spazieren, wir können Leute über diesen Zustand informieren. Das hat uns animiert, weiterhin solche Aktionen zu machen.
In Leipzig fand ja immer die Messe statt: die Wirtschaftsmesse im Frühjahr und im Herbst. Da waren immer sehr viele westliche Journalisten im Land. Die brauchten keine Akkreditierung. Wenn sie normalerweise in der DDR filmen wollten, mussten sie sich akkreditieren, mussten sagen, was sie wollen und welches Thema sie dort filmen. Dann wurden sie auf Schritt und Tritt überwacht und haben Interviewpartner zugeordnet bekommen. Sie konnten nicht frei berichten. Zur Messe konnte man das nicht machen. Deshalb haben wir Messe-Aktionen gemacht, am Montag, wenn das Friedensgebet stattfand. Ab 1988 gab es Demonstrationen, auf denen auch Ausreiser mit dabei waren und auf ihre Situation aufmerksam gemacht haben. Auch das hat einen Riesen-Mobilisierungs-Effekt gehabt, denn das kam abends in der Tagesschau. Das haben viele Leute gesehen. Dadurch wurde die Nikolaikirche bekannt. Dadurch wurde bekannt: Montags um 17:00 Uhr ist dort irgendetwas los. Da muss ich mal hingucken. Das sind dann immer mehr geworden. Das war für '88 sehr wichtig; das waren die Aktionen, die wir weiter geplant hatten.
Uwe Schwabe, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de