Abschrift
Das wichtigste Datum ist ja der 9. Oktober in Leipzig. Das war der, so wurde später gesagt, Tag der Entscheidung. Das Szenario war vorbereitet: Tausende Kampfgruppeneinheiten, Polizeieinheiten standen in Stellung. Leipzig war abgeriegelt, es wurde genau geplant, was geschehen würde. Es gab Gerüchte: Blutkonserven werden in den Krankenhäusern bereitgestellt, in den Gefängnissen werden die Betten aufgestockt. Es war eine gespenstische Angst in dieser Stadt, in diesen Tagen. Viele wurden gewarnt, nicht in die Innenstadt zu gehen, weil es gefährlich werden kann. Aber dann kamen 70.000 Leute, dem hatte der Staat nichts entgegen zu setzen. Gegen 70.000 kann man nicht vorgehen, ohne dass es zu blutigen Auseinandersetzungen kommt. Der Staat hat sich zurückgezogen. Das war das große Glück, das es in Leipzig gab.
Ich denke, es war kein Zufall, dass es zum 9. Oktober gekommen ist, dass immer am gleichen Ort, zur gleichen Uhrzeit, am gleichen Tag Veranstaltungen stattfanden, bei denen politisch diskutiert werden konnte. Das hat sich über die Medien und über Mundpropaganda herumgesprochen. Das gab es so in anderen Städten nicht. Da gab es mal hier eine Veranstaltung, mal dort. Diese Kontinuität im Ort, das hat den Effekt gehabt, dass ab '88 eine kontinuierliche Entwicklung möglich war.
Uwe Schwabe, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de