Abschrift
Biermann war natürlich ein Sprachrohr für viele Jugendliche. Für uns alle hat Biermann Sachen ausgedrückt, die wir selbst nicht in der Lage waren zu formulieren. Wir haben das so ähnlich gefühlt, und er hat die Worte dafür gefunden. Ich war im Theologen-Konvikt. Das war ein Heim, in dem die jungen Theologen wohnten. Wir saßen beim Abendbrot, und ich weiß, dass einer sagte: ´Habt ihr schon gehört, dass der Biermann ausgebürgert ist?`. Da war für mich klar, dass jetzt alles zu Ende ist, dass die jetzt mit eisernen Besen aufräumen werden.
Was bestimmt wichtig war, ist der Umstand, dass Jurek Becker am 17. November in Jena im ´Club der Intelligenz` gelesen hat. Viele junge Leute hatten sich da eingefunden, es war rappelvoll, man kriegte überhaupt keinen Platz. Jurek Becker hat ganz klare Worte gesagt, hat entschieden die Biermann-Ausbürgerung abgelehnt und dagegen protestiert. Er erzählte von diesem Brief der Schriftsteller an die DDR-Regierung, und dadurch kam überhaupt die Idee auf, sich diesem Brief anzuschließen. Und am nächsten Tag, am 18. November, fand in den Räumen der Jungen Gemeinde ein Treffen statt, wo 58 junge Leute diesen Bittbrief, diesen devot gehaltenen Brief an die DDR-Regierung unterschrieben haben. Ich habe das jetzt nochmal nachgelesen.
Das hätte auch niemand erfahren, wenn es nicht einen wichtigen Spitzel in der Jungen Gemeinde gegeben hätte: "Helmut Falke" mit Decknamen. Der ist noch in der Nacht, nach ein Uhr, zur Staatssicherheit gerannt. Er hat noch in der Nacht irgendwelche operativen Stäbe aus Gera, der Bezirksstadt, angefordert. Schon früh um sechs fingen die Verhaftungen an. Jürgen Fuchs hat diesen Text nach Jena durchgegeben. Weil ich eine Berufsausbildung mit Abitur gemacht hatte und Stenographie konnte, hatte er mir den Text gesagt. Ich hatte es mit stenographiert und diesen Text getippt und war so dumm, alle Pauspapiere in meinem Papierkorb zu lassen. Den hat die Staatssicherheit natürlich geleert und alles als Beweismaterial mitgenommen.
Doris Liebermann, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de