Abschrift
Ich bin in einem ganz kleinen Dorf in Thüringen geboren. Das ist ungefähr zehn Kilometer von der Grenze zu Bayern entfernt gewesen. Es war das erste Dorf außerhalb des Sperrgebiets. Das heißt eigentlich: Hinter dem Dorf endete die Welt für mich. Meine Eltern sind Bauern. Ich kann nicht direkt sagen, dass sie unpolitisch waren, aber Bauern sind in ihrer Haltung sehr konservativ, ist meine Erfahrung. Über die gehen die politischen Wellen hinweg, ohne dass sich viel ändert an ihrer Haltung.
Ich bin sehr ambivalent erzogen worden. Man machte alles mit, was in dem Staat DDR gebraucht wurde. Ich wurde zu den Jungen Pionieren angemeldet und bin da auch gerne hingegangen. Ich hatte auch gerne dieses blaue Halstuch um. Gleichzeitig habe ich die Christenlehre besucht. Am Anfang was das auch kein Problem für mich. Das kam erst als junger Mensch, als ich anfing, bewusst zu denken.
Frage: Welche Rolle spielte die Kirche für Sie, in Ihrer Prägung als Jugendliche?
Die spielte eine ganz große Rolle. Aber nicht als Kirche, sondern in Gestalt eines einzelnen Pfarrers, der nach dem Studium in Jena nicht in unser Dorf, sondern in das Nachbardorf kam. Er war voller Ideen und Pläne und belesen und eigentlich völlig fehl am Platz in diesem Dorf. Der hatte sehr viel Literatur, er gab uns Bücher von Max Frisch und von Dürrenmatt, so dass er auch mir eine ganz neue Welt eröffnete. Durch ihn kriegte ich erstmal ganz andere Kontakte, vor allem zur Jungen Gemeinde Zella-Mehlis, die damals schon wie ein staatsfeindliches Objekt behandelt wurde.
Dort lernte ich Leute kennen wie Matthias Büchner oder Christian Herrmann, die eine führende Rolle in der DDR-Opposition hatten, die schon als 17-jährige aus den Lehren geworfen worden sind. Das waren alles Erfahrungen für mich, die mich doch sehr zum Nachdenken brachten. Ich bin nach Jena gegangen und wollte eigentlich Slawistik studieren. Weil mich Sprachen immer interessierten. Ich hatte auch angefangen, sollte aber als Bauernkind sofort zur FDJ-Sekretärin ernannt werden. Das war der Punkt, an dem ich für mich entschieden habe, dass ich da nicht weiter kann. Ich sagte: entweder Kirche oder Staat.
Doris Liebermann, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de