Abschrift
Eigentlich war es wie eine Art Zwangsurlaub. Man wusste überhaupt nicht, was man hier sollte: eine völlig neue Umgebung, die Freunde weg. Man hatte auch immer so komische Halluzinationen. Wenn man auf der Straße ging, dachte man: ´Ach Mensch, das ist doch der und der.` Aber der war es eben nicht. Es war schwierig, weil wir gar nicht wussten: Sollen wir in Berlin bleiben, oder sollen wir in eine andere Stadt gehen? Was sollen wir hier machen? Im Westen hatte man natürlich auch ein Bild von der DDR. Nämlich, dass es das bessere Deutschland sei. Das war so ein Wunschbild, das der Wirklichkeit nicht entsprach. Es ist öfter passiert, dass irgendjemand sagte: ´Wenn ihr in der DDR verhaftet worden seid, dann könnt ihr ja nur Kriminelle gewesen sein
´.
Es war unwahrscheinlich schwer, das zu erklären. Sich verständlich zu machen. Wir durften ja nicht einreisen. Wir haben uns aber in den ersten Jahren in Karlsbad getroffen, mit den Freunden aus der Jungen Gemeinde. Wir haben auch einmal, das muss '81 oder '82 gewesen sein, ein großes Treffen in Polen gemacht, wo nun fast alle aus der Jungen Gemeinde Jena da waren. Alles wurde genau von der Staatssicherheit beobachtet, alles minutiös dokumentiert. Ich hatte ab ungefähr '82 Einreiseverbot in die Tschechoslowakei. Ich war darauf eingestellt, dass ich nie wieder in die DDR fahren kann, dass ich nie wieder einreisen kann. Auch, dass ich meine Familie nicht mehr sehen kann. Ich durfte übrigens doch noch einmal einreisen. Mit einer Sondererlaubnis für 48 Stunden, als mein Vater gestorben ist. Da durfte ich zur Beerdigung. Das war aber auch eine Sondererlaubnis, das wurde nicht immer gewährt.
Frage: War das das erste Wiedersehen mit ihrer Familie?
Nach acht Jahren. Da am Grab meines Vaters.
Doris Liebermann, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de