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Ausreisewelle

Mitte der 1980er Jahre: die Zehn Gebote des Antragstellers auf Ausreise. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Mitte der 1980er Jahre: die Zehn Gebote des Antragstellers auf Ausreise. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Abschrift
Postkarte, die Stefan Ullmann (rechts) nach seiner Ausreise 1985/86 verschickt. Im Bild steht er am Zugang zur Grenzübergangsstelle Friedrichstraße, dem sogenannten Tränenpalast. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Postkarte, die Stefan Ullmann (rechts) nach seiner Ausreise 1985/86 verschickt. Im Bild steht er am Zugang zur Grenzübergangsstelle Friedrichstraße, dem sogenannten Tränenpalast. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Information über die Konstituierung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR am 22. September 1987 in Berlin. Hauptthemen der Gruppe sind die Beratung und Information über rechtliche Möglichkeiten von Ausreiseantragstellern. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Information über die Konstituierung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR am 22. September 1987 in Berlin. Hauptthemen der Gruppe sind die Beratung und Information über rechtliche Möglichkeiten von Ausreiseantragstellern. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
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Peter Rösch, der zusammen mit Matthias Domaschk am 10. April 1981 festgenommen wurde, wird so lange unter Druck gesetzt, bis er sich gezwungen sieht, am 30. September 1981 einen Ausreiseantrag zu stellen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Albrecht
Peter Rösch, der zusammen mit Matthias Domaschk am 10. April 1981 festgenommen wurde, wird so lange unter Druck gesetzt, bis er sich gezwungen sieht, am 30. September 1981 einen Ausreiseantrag zu stellen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Bernd Albrecht
Viele Aktivisten der Opposition verlassen die DDR. Gründe dafür sind zumeist andauernde Repressionen und fehlende Perspektiven. Im Bild: der in der Ost-Berliner Oppositionsszene engagierte Schriftsteller Rüdiger Rosenthal am 7. Juli 1987 vor dem „Tränenpalast“...
Viele Aktivisten der Opposition verlassen die DDR. Gründe dafür sind zumeist andauernde Repressionen und fehlende Perspektiven. Im Bild: der in der Ost-Berliner Oppositionsszene engagierte Schriftsteller Rüdiger Rosenthal am 7. Juli 1987 vor dem „Tränenpalast“ am Grenzübergang Friedrichstraße. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Siegbert Schefke
"Ich will nach den Westen": Kinderschrift mit Kreide vor der Sophienkirche in Ost-Berlin (Juni 1988). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Barbara Hanus
"Ich will nach den Westen": Kinderschrift mit Kreide vor der Sophienkirche in Ost-Berlin (Juni 1988). Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Barbara Hanus
In Schwerin machen Ausreisewillige ihr Anliegen 1988 öffentlich und fordern ihr Recht auf Reisefreiheit. Quelle: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv/Ast Schwerin, AU 454 88
In Schwerin machen Ausreisewillige ihr Anliegen 1988 öffentlich und fordern ihr Recht auf Reisefreiheit. Quelle: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv/Ast Schwerin, AU 454 88
In Schwerin machen Ausreisewillige ihr Anliegen 1988 öffentlich und fordern ihr Recht auf Reisefreiheit. Quelle: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv/Ast Schwerin, AU 454 88
In Schwerin machen Ausreisewillige ihr Anliegen 1988 öffentlich und fordern ihr Recht auf Reisefreiheit. Quelle: Bundesarchiv/Stasi-Unterlagen-Archiv/Ast Schwerin, AU 454 88
Am 11. Februar besucht der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Eberhard Diepgen, Ost-Berlin. Diesen Besuch nutzen ausreisewillige DDR Bürger um vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik (StäV) ihre Ausreise zu fordern. Noch vor dem Eintreffen...
Am 11. Februar besucht der Regierende Bürgermeister von West-Berlin, Eberhard Diepgen, Ost-Berlin. Diesen Besuch nutzen ausreisewillige DDR Bürger um vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik (StäV) ihre Ausreise zu fordern. Noch vor dem Eintreffen des Regierungschefs von West-Berlin beenden Stasi-Mitarbeiter und Volkspolizisten mit einem brutalen Einsatz die Aktion und verhafteten die Demonstranten. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 88_0211_POL-Ausreise_09
Rund um das Messegelände in Leipzig demonstrierten am 12. März 1989 etwa 20 DDR-Bürger mit einem Fahrradkorso für ihre Ausreise. Volkspolizei und Staatssicherheit beobachteten die Radfahrer ohne einzuschreiten, denn zur Leipziger Messe befinden sich...
Rund um das Messegelände in Leipzig demonstrierten am 12. März 1989 etwa 20 DDR-Bürger mit einem Fahrradkorso für ihre Ausreise. Volkspolizei und Staatssicherheit beobachteten die Radfahrer ohne einzuschreiten, denn zur Leipziger Messe befinden sich viele ausländische Gäste in der Stadt. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 89_0312_POL_Ausreise_03
Bericht der MfS-Kreisdienststelle Saalfeld über den Anstieg von Ausreiseanträgen im zweiten Quartal 1989 (28. Juni 1989). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
Bericht der MfS-Kreisdienststelle Saalfeld über den Anstieg von Ausreiseanträgen im zweiten Quartal 1989 (28. Juni 1989). Quelle: Bundesarchiv / Stasi-Unterlagen-Archiv
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Am 19. August 1989 laden ungarische oppositionelle Gruppen um das Ungarische Demokratische Forum und die Paneuropa-Union zum "Paneuropäischen Picknick" an der Grenze zu Österreich bei Sopron ein. Dabei soll ein jahrzehntelang geschlossenes Grenztor...
Am 19. August 1989 laden ungarische oppositionelle Gruppen um das Ungarische Demokratische Forum und die Paneuropa-Union zum "Paneuropäischen Picknick" an der Grenze zu Österreich bei Sopron ein. Dabei soll ein jahrzehntelang geschlossenes Grenztor symbolisch für einige Stunden geöffnet werden. Unter DDR-Bürgern, die in Ungarn Urlaub machen, hat sich die mit Flugblättern beworbene Veranstaltung wie ein Lauffeuer herum gesprochen. Etwa 700 DDR-Bürgern gelingt die Flucht nach Österreich trotz geltendem Schießbefehl. Die ungarischen Grenzsoldaten schauten weg. Das „Paneuropäischen Picknick" wurde zum ersten Riss im Eisernen Vorhang. Quelle: Dirk Eisermann/Hamburg
In den Sommermonaten versuchen viele Ostdeutsche, von Ungarn über die grüne Grenze nach Österreich zu fliehen. Noch wird die Grenze bewacht. Gleichwohl gelingt immer wieder Einzelnen die Flucht, wie dieser kleinen Gruppe im August 1989. Quelle: Dirk...
In den Sommermonaten versuchen viele Ostdeutsche, von Ungarn über die grüne Grenze nach Österreich zu fliehen. Noch wird die Grenze bewacht. Gleichwohl gelingt immer wieder Einzelnen die Flucht, wie dieser kleinen Gruppe im August 1989. Quelle: Dirk Eisermann/Hamburg
Am 8. August 1989 schließt die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Mehr als hundert Menschen halten sich zu diesem Zeitpunkt in der Vertretung auf. Die DDR-Behörden sagen ihnen die Ausreise in die Bundesrepublik zu, wenn sie ihre...
Am 8. August 1989 schließt die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Mehr als hundert Menschen halten sich zu diesem Zeitpunkt in der Vertretung auf. Die DDR-Behörden sagen ihnen die Ausreise in die Bundesrepublik zu, wenn sie ihre Besetzung beenden und das Gebäude verlassen. Im Bild ein Volkspolizist vor der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin im August 1989. Quelle: Archiv StAufarb, Bestand Klaus Mehner, 89_0810_POL_Ausreise_05
Tausende DDR-Bürger flüchten im Sommer 1989 über die grüne Grenze von Ungarn in den Westen. Dabei lassen sie alles zurück, sogar ihre vielgeliebten Autos, auf die sie mitunter mehr als 15 Jahre warten mussten. Im Oktober 1989 überführt der Staatssicherheitsdienst...
Tausende DDR-Bürger flüchten im Sommer 1989 über die grüne Grenze von Ungarn in den Westen. Dabei lassen sie alles zurück, sogar ihre vielgeliebten Autos, auf die sie mitunter mehr als 15 Jahre warten mussten. Im Oktober 1989 überführt der Staatssicherheitsdienst der DDR die von Flüchtlingen stehen gelassenen Autos zurück nach Ostdeutschland. Quelle: BStU, MfS, Ast Dresden AKG 8169, Bl. 07
"Organisiertes Verbrechen, von der Bundesrepublik aus gesteuert": Das DDR-Zentralorgan Junge Welt klärt die Bürger am 23./24. September 1989 über den "heimtückischen Menschenhandel“ auf. Quelle: Junge Welt
"Organisiertes Verbrechen, von der Bundesrepublik aus gesteuert": Das DDR-Zentralorgan Junge Welt klärt die Bürger am 23./24. September 1989 über den "heimtückischen Menschenhandel“ auf. Quelle: Junge Welt
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DDR-Flüchtlinge in der Botschaft der Bundesrepublik in Prag (1. Oktober 1989). Quelle: REGIERUNGonline/Seebode
DDR-Flüchtlinge in der Botschaft der Bundesrepublik in Prag (1. Oktober 1989). Quelle: REGIERUNGonline/Seebode
Die oppositionelle Umwelt-Bibliothek Berlin bezieht im September 1989 Stellung zur Massenflucht. Sie sieht darin eine „revolutionäre Situation“. Der Artikel aus der Untergrundzeitschrift Umweltblätter wird auch als Flugblatt verteilt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Die oppositionelle Umwelt-Bibliothek Berlin bezieht im September 1989 Stellung zur Massenflucht. Sie sieht darin eine „revolutionäre Situation“. Der Artikel aus der Untergrundzeitschrift Umweltblätter wird auch als Flugblatt verteilt. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlinge aus Prag in der Bundesrepublik ein. Sie haben zuvor in der Deutschen Botschaft Prag auf ihre Ausreise gewartet. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlinge aus Prag in der Bundesrepublik ein. Sie haben zuvor in der Deutschen Botschaft Prag auf ihre Ausreise gewartet. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlinge aus Prag in der Bundesrepublik ein. Sie haben zuvor in der Deutschen Botschaft Prag auf ihre Ausreise gewartet. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlinge aus Prag in der Bundesrepublik ein. Sie haben zuvor in der Deutschen Botschaft Prag auf ihre Ausreise gewartet. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlingen aus Prag in der Bundesrepublik ein. Helfer des Roten Kreuzes (DRK) versorgen die Flüchtlinge mit dem Nötigsten. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn treffen DDR-Flüchtlingen aus Prag in der Bundesrepublik ein. Helfer des Roten Kreuzes (DRK) versorgen die Flüchtlinge mit dem Nötigsten. Quelle: REGIERUNGonline/Arne Schambeck
Am 19. August 1989 fand das sogenannte "Paneuropäische Picknick" am Grenzübergang Sopron (Ungarn)/St. Margarethen (Österreich) statt. Die Grenze wurde an diesem Tag geöffnet und hunderte DDR-Bürger nutzen diese Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen....
Am 19. August 1989 fand das sogenannte "Paneuropäische Picknick" am Grenzübergang Sopron (Ungarn)/St. Margarethen (Österreich) statt. Die Grenze wurde an diesem Tag geöffnet und hunderte DDR-Bürger nutzen diese Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen. Viele gingen einfach über Äcker und Wiesen zu Fuß nach St. Margarethen, von wo es mit Reisbussen nach Wien zum Bahnhof für eine Weiterreise in die Bundesrepublik ging. Über Feldwege geht es in österreichische St. Margarethen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Varnhorn/RHG_Fo_AnVar_0019
Am 19. August 1989 fand das sogenannte "Paneuropäische Picknick" am Grenzübergang Sopron (Ungarn)/St. Margarethen (Österreich) statt. Die Grenze wurde an diesem Tag geöffnet und hunderte DDR-Bürger nutzen diese Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen....
Am 19. August 1989 fand das sogenannte "Paneuropäische Picknick" am Grenzübergang Sopron (Ungarn)/St. Margarethen (Österreich) statt. Die Grenze wurde an diesem Tag geöffnet und hunderte DDR-Bürger nutzen diese Gelegenheit, um in den Westen zu fliehen. Viele gingen einfach über Äcker und Wiesen zu Fuß nach St. Margarethen, von wo es mit Reisbussen nach Wien zum Bahnhof für eine Weiterreise in die Bundesrepublik ging. Über Feldwege geht es in österreichische St. Margarethen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Varnhorn/RHG_Fo_AnVar_0020
Geflüchtete DDR-Bürger am 25.8.1989 im Notaufnahmelager im westfälischen Schöppingen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Varnhorn/RHG_Fo_AnVar_0101
Geflüchtete DDR-Bürger am 25.8.1989 im Notaufnahmelager im westfälischen Schöppingen. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Varnhorn/RHG_Fo_AnVar_0101
Geflüchtete DDR-Bürger am 25.8.1989 im Notaufnahmelager im westfälischen Schöppingen. Betriebe aus der Umgebung suchen unter den geflüchteten DDR-Bürgern mit selbstgestalteten Jobangeboten nach Arbeitskräften. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas...
Geflüchtete DDR-Bürger am 25.8.1989 im Notaufnahmelager im westfälischen Schöppingen. Betriebe aus der Umgebung suchen unter den geflüchteten DDR-Bürgern mit selbstgestalteten Jobangeboten nach Arbeitskräften. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/Andreas Varnhorn/RHG_Fo_AnVar_0095

Ende 1988 sitzen in der DDR rund 110.000 Menschen auf gepackten Koffern. Sie haben Ausreiseanträge gestellt und wollen der Perspektivlosigkeit des „real existierenden Sozialismus“ entfliehen. Nachdem die SED der Öffnungspolitik von Glasnost und Perestroika eine eindeutige Absage erteilt hat, haben sie, wie viele andere auch, den Mut verloren. Ihr einziges Ziel: weg in den Westen, egal wie.

Das Grenzregime der DDR ist mittlerweile so perfektioniert, dass die Menschen kaum noch über die Mauer fliehen können. Bei einem Fluchtversuch am 6. Februar 1989 wird Chris Gueffroy, 20 Jahre alt, durch Grenzsoldaten erschossen. Er ist das letzte Todesopfer am „Antifaschistischen Schutzwall“, wie die Mauer im offiziellen DDR-Sprachgebrauch heißt.

Nur wenige Monate später, im Mai 1989, öffnet der Abbau der Grenzanlagen im Bruderland Ungarn Hunderten DDR-Bürgern einen neuen Fluchtweg. Ausreisewillige besetzen die bundesdeutschen Botschaften in Prag und Budapest und erzwingen so im August und September 1989 ihre Ausreise. Unter dem Druck der Ereignisse genehmigt die DDR-Führung nun auf einen Schlag eine große Zahl von Ausreiseanträgen.

1988: Mindestens 110.000 Menschen wollen raus aus der DDR

Damit glaubt die SED, wie 1984 schon einmal, ein Ventil öffnen zu können. Damals wurde innerhalb kurzer Zeit rund 21.000 Anträgen stattgegeben. Bevorzugt wurden dabei diejenigen, die sich aktiv und öffentlich für ihre Ausreise engagierten oder anderweitig den sozialistischen Alltag störten. Doch die Genehmigung der Ausreiseanträge 1989 hat keine Ventil-, sondern eine Sogwirkung: In diesem Sommer steigt die Zahl der Antragsteller im ganzen Land sprunghaft an (Bildergalerie).

Am 10. September 1989 öffnet Ungarn schließlich seine Grenze nach Österreich, was eine Massenflucht von DDR-Bürgern zur Folge hat. Es fliehen vor allem junge Leute, Schüler, Studenten, Lehrlinge, junge Arbeiter, oft ohne das Wissen ihrer Eltern, Freunde und Angehörigen. Jetzt können die offiziellen DDR-Medien das Problem nicht mehr totschweigen. Verlassene Wohnungen in der ganzen Republik und leer bleibende Arbeitsplätze sprechen Bände.

Auf die Massenflucht reagiert die Partei- und Staatsführung mit einem starrsinnigen Propagandafeldzug. Diejenigen, die fliehen, werden in Zeitungsartikeln und Fernsehkommentaren als Verräter und Undankbare gebrandmarkt, „die die moralischen Werte mit Füßen getreten und sich selbst aus unserer Gesellschaft ausgegrenzt haben“. Diesen Menschen, so erklärt der DDR-Staatschef Erich Honecker noch im Oktober 1989, dürfe man „keine Träne nachweinen“. Die Bundesrepublik wird von der DDR-Spitze mit absurden Vorwürfen wegen Menschenhandels konfrontiert: Angeblich sollen bundesdeutsche Agenten friedliche DDR-Bürger mit allen Mitteln in den Westen locken oder sogar verschleppen.

Innerhalb der oppositionellen Gruppen ist das Thema Ausreise schon seit Langem heiß umstritten. (Peter Grimm berichtet darüber im Zeitzeugen-Interview.) Die Entscheidung, die Heimat DDR zu verlassen – was in der Regel bedeutet, sie für immer zu verlassen –, macht sich keiner leicht. Bei vielen DDR-Bürgern sind es vorrangig wirtschaftliche Gründe, die sie aus dem Land treiben. Aber auch die politische Einengung, das Verwehren von grundlegenden Menschenrechten und die gesellschaftliche Perspektivlosigkeit führen dazu, dass sich Bürger von ihrem Staat abwenden.

Die Wirtschaft liegt am Boden, viele sehen keine Zukunft mehr

Bei denen, die sich in der Opposition aktiv gegen den Staat engagieren, kommen zu diesen Ausreisegründen noch die dauernden Repressionen, wie Berufs- und Bildungsverbote oder gar Verhaftungen und Verurteilungen, hinzu. Dennoch ist die Entscheidung, das Land zu verlassen, gerade für Oppositionelle besonders schwer: Heißt es doch, sich endgültig geschlagen zu geben und seine Mitstreiter im Stich zu lassen. Denn für die zahlenmäßig schwache DDR-Opposition bedeutet die Ausreise jedes Mitglieds einen spürbaren Verlust. Viele behaupten dennoch, ihre Flucht in den Westen sei die radikalste Absage an das DDR-System und trage maßgeblich zum Zusammenbruch des Staates bei.

Einige der ausgereisten oder zwangsausgebürgerten Oppositionellen, wie Doris Liebermann, Roland Jahn oder Jürgen Fuchs, unterstützen den Widerstand gegen das SED-Regime aktiv vom Westen aus. Der großen Mehrheit der ausgereisten Oppositionellen gelingt es jedoch nicht mehr, aktiv von außen auf die Diktatur in der DDR einzuwirken. Viele verlieren sogar ganz den Kontakt zu ihren früheren Freunden und Mitstreitern.

Zweifellos sind es letztlich beide Bewegungen, die zur Revolution in der DDR führen: die Ausreisenden und die Oppositionellen, die im Land bleiben. Den SED-Oberen machen im Sommer 1989 die Botschaftsbesetzungen und die Massenflucht über Ungarn ebenso zu schaffen wie Tausende von Demonstranten, die in Leipzig und Berlin öffentlich trotzig skandieren: „Wir bleiben hier!“.

Zitierempfehlung: „Ausreisewelle“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145317

 


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