Abschrift
Ich glaube, es war am nächsten Tag, als der Anstaltsleiter kam. Der sagte: ´Herr Grünhagen, Sie kriegen einen Sonderbrief und dürfen Ihrer Frau schreiben, dass Sie demnächst nach Hause kommen`. Ich den Sonderbrief geschrieben und mich gefreut. Jetzt kommt Weihnachten – nix. Silvester – nix. Neujahr – nix. Am 3. Januar, Wilhelm Piecks Geburtstag, will ich morgens wie immer arbeiten gehen. ´Sie bleiben drin.` Bis mittags um zwölf Uhr war ich drin. Allein in der Zelle. Die anderen waren ja arbeiten. Mittags gab es – weiß ich heute noch – Salzkartoffeln, Blutwurst, und das war's. Ich hab nichts mehr gegessen. Ich bin da drinnen gelaufen. Was ist hier los? Um eins etwa, geht plötzlich die Türe auf: ´Hoch, Grünhagen zur Effektenkammer!`.
Ich kriegte einen Anzug verpasst, da guckten noch die Pferdehaare raus. Ich kriegte eine Fahrkarte, mit der Aufforderung, ich solle mich beeilen. Hab ich gemacht. Ich bin in den Zug eingestiegen, in Berlin-Lichtenberg ausgestiegen, die Staatssicherheit vor mir, Krankenschwestern. Sie wussten genau, in welchem Abteil ich war. Und sie sagten zu mir: ´Herr Grünhagen, möchten Sie nach drüben?`.
Ich war kopfscheu. Meine Frau zu Hause, die Tochter ist da, die ich noch nie gesehen habe. Können Sie sich das vorstellen? Ich hab die S-Bahn nach Strausberg flöten gehen lassen und bin in die S-Bahn nach Erkner eingestiegen. Da war die Staatssicherheit, und da kriegte ich gleich die Auflage, mich in Strausberg bei der Staatssicherheit zu melden. Das musste ich fast jeden Tag. Bloß nachher ging es nicht mehr, da lag ich mit schwerer Rippenverletzung im Bett. Ich habe keinen Pfennig Krankengeld gekriegt, nichts. Auf Deutsch gesagt: Meine Frau hat mich ernährt.
Heinz Grünhagen, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de