Abschrift
Mittags um ein Uhr haben wir erstmal eine Demonstrationsfahrt gemacht – Strausberg, Rüdersdorf, die ganze Gegend bis Hoppegarten Schlagbaum. Kennen Sie das noch, wie das in Berlin abgesperrt war? Wir haben beschlossen, Mittagessen auf der Baustelle [zu machen] und dann nach Berlin zu fahren, Solidarität zu üben. Das muss so um halb eins, eins gewesen sein. Wir haben uns alle LKW genommen, 20 LKW. Können mehr, können auch weniger gewesen sein. Alle beladen, voll mit Bauarbeitern: Frauen, Männer. Und dann wollten wir nach Berlin.
Wir sind bis Hoppegarten gekommen. Ich war auf dem Spitzenfahrzeug drauf. Da kamen die Russen durch das Kornfeld gelaufen, Maschinenpistolen im Anschlag und ließen uns nicht durch. Der Kraftfahrer war aus Eckersdorf, er ist voriges Jahr gestorben, der hätte bald noch den Russen überfahren. Der Russe hat die Maschinenpistole hoch gerissen und schoss in die Luft. Der ganze Kontrollpunkt war voll. Die Russen, die Offiziere, die verstehen Sie ja nicht. Sie haben uns gezwungen, aufs Kornfeld drauf zu fahren, zu drehen und zur Baustelle zurück [zu fahren].
An der Baustelle angekommen, stiegen wir alle vom Fahrzeug runter, da waren schon Zivilisten da. Und während wir abstiegen, kam ein Bus auf die Baustelle raufgefahren. Alles voll mit Zivilisten. Können Sie sich ja vorstellen, wer das war. Die schwärmten aus, und ich habe noch mit einem diskutiert. Das einzige, was ich mir heute noch vorwerfen darf: Dem habe ich auf den Stiefel gespuckt. Der hat Stiefel angehabt und ich hab ihm gesagt, er soll sich was schämen. Ich hatte einen in der Brigade, der hatte vier Kinder, der war aus Rüdersdorf. Ein Pfund Margarine kostete nachher fünf Mark. Da schämt der sich nicht. Wenn ich das heute sehe: Das war eigentlich mein Verbrechen, wenn ich das mal so bezeichnen darf. Ich habe von dem abgelassen, habe mich in den Straßengraben gesetzt. Inzwischen, im Straßengraben, merkte ich: Da kamen russische Panzerspähwagen und sperrten die Straße Strausberg – Hennickendorf ab. Ich guckte mir das mit an. Da hat man ja gesehen, dass wir nichts mehr machen konnten. Streikleitung geschlossen, wir fahren nach Hause. Am nächsten Tag wollten wir uns wieder im Kulturhaus treffen. Dazu kam es nicht mehr.
Heinz Grünhagen, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de