Abschrift
Die Gerichtsverhandlung war am 25. Juni abends um fünf, sechs Uhr. Die Verhandlung war der Kulturraum der Volkspolizei. Großer Saal, da saß die kasernierte Volkspolizei als Zuschauer und sehr viele Zivilisten. Wir saßen am Tisch, da war eine Kruke Wasser. Leibriemen und Schnürsenkel fehlten mir nach wie vor. Dann kriegten wir vom Richter gesagt, dieser Dr. Walke aus Bernau bei Berlin, das sollte angeblich unser Offizialverteidiger sein. Der hat noch meine Frau hinkommen lassen, und der hat nach der Gerichtsverhandlung Berufung eingelegt. Die Berufung wurde abgelehnt. Ist alles in der Mappe drin.
Die Berufung wurde vom Obersten Gericht der DDR abgelehnt, mit dem Hinweis, wir haben Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Wir haben die Arbeiterklasse verraten, wörtlich verraten`, und wir werden dementsprechend mit den Gesetzen zur Verantwortung gezogen. Das Urteil wurde am folgenden Tag verkündet. Ich weiß nicht, ob es im Polizeipräsidium war – wir wurden hingefahren. Dr. Walke war anwesend. Der konnte nicht mit uns sprechen, nicht ein einziges Wort. Für uns war das ein namenloser Mann. Als das Urteil ausgesprochen war, kam er an jeden ran und gab uns die Hand. Die Tränen liefen ihm über die Wange. Können Sie sich das vorstellen? Das geht mir heute noch nahe. Der hat richtig geweint und sich noch von jedem verabschiedet.
Meine Frau war schwanger, und er hat ihr gesagt, wie das ausgegangen ist. Ich habe ihr auch nichts abgenommen. Walke ist nach dem Westen gegangen. Den hätten sie ja auch verhaftet. In der DDR war's damals so: Alle Rechtsanwälte, es gab ja nicht viele, die wurden solchen Prozessen zugeordnet. Da sollten sie bekunden, dass sie für den Staat stehen. Da haben sie sie abgeprüft. Und was der Mann gedacht hat, dem die Tränen runterliefen – das können Sie ja nachempfinden.
Heinz Grünhagen, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de