In der ostthüringischen Kleinstadt Eisenberg bildet sich Anfang der 1950er Jahre ein Widerstandskreis von Oberschülern. Die Schüler sind empört über die Kampagne gegen die Junge Gemeinde und die Drangsalierung von christlichen Mitschülern. Schließlich wird ein liberal denkender und sehr beliebter Lehrer verhaftet. Eine Gruppe politisch interessierter und geistig wacher Jugendlicher erträgt die Gleichgültigkeit ihrer Umwelt gegen den SED-Terror nicht länger: Thomas Ammer, Joachim Marckstadt, Johann Frömel, Peter Herrmann und andere Freunde. Sie planen Aktionen gegen die SED-Herrschaft – in der Tradition des Widerstands gegen den Nationalsozialismus.
Im Oktober 1954 protestieren sie mit einem Plakat gegen die Scheinwahlen zur Volkskammer. Es folgen weitere Flugblatt- und Plakataktionen. Am 21. Januar 1956 verübt die Gruppe einen Brandanschlag auf einen Schießstand, an dem die Gesellschaft für Sport und Technik, die Volkspolizei und die SED-Kampfgruppen Schießübungen machen. Die Jugendlichen protestieren damit gegen die fortschreitende Militarisierung der DDR-Gesellschaft.
Nach dem Abitur, zwischen 1953 und 1955, beginnen einige Mitglieder des Eisenberger Kreises an verschiedenen Universitäten der DDR mit ihrem Studium. Dadurch weitet sich der Aktionsradius der Gruppe aus. Neue Mitglieder stoßen hinzu. Allerdings bildet sich nur in Jena eine aktive Widerstandsgruppe. Unter dem Eindruck des Volksaufstands in Ungarn im November 1956 verstärkt die Gruppe ihre Widerstandstätigkeit. An den Studentenprotesten im Herbst 1956, die es auch in Jena gibt, beteiligt sich der Eisenberger Kreis jedoch nicht. Die Mitglieder handeln streng konspirativ. So lässt sich beispielsweise Thomas Ammer zur Tarnung in die FDJ-Hochschulgruppenleitung wählen.
Die Eisenberger Widerstandsgruppe verfügt über keine feste Organisationsstruktur, keine Führungsgremien und keine formale Mitgliedschaft. Etwa 16 bis 18 Schüler, Studenten und Lehrlinge gehören zu dem aktiven Kreis. Sie fordern freie Wahlen, den Abzug der sowjetischen Truppen, die Freilassung politischer Gefangener und die Zulassung von Oppositionsparteien. Einige Gruppenmitglieder nehmen Kontakt zu antikommunistischen Organisationen in West-Berlin auf und besorgen sich dort Literatur.
Schließlich gelingt es der Stasi, in die konspirativen Strukturen der Gruppe einzudringen. Ein Stasi-Mitarbeiter gibt sich als westdeutscher Journalist aus und kann das Vertrauen einiger Gruppenmitglieder erschleichen. Das Ministerium für Staatssicherheit beobachtet die Tätigkeit der Gruppe noch etwa ein halbes Jahr. Dann schlägt sie zu: Am 13. Februar 1958 wird Thomas Ammer verhaftet. (Im Zeitzeugen-Video berichtet Thomas Ammer von den Aktionen, dem Verrat, dem Prozess und der Verurteilung.)
In den folgenden Wochen werden weitere 24 Mitglieder des Kreises festgenommen; fünf können sich der drohenden Verhaftung entziehen, indem sie in den Westen fliehen. Von September bis Oktober 1958 fällt das Bezirksgericht Gera 24 Urteile mit einem Gesamtstrafmaß von 114 Jahren und sechs Monaten Zuchthaus. Der Vorwurf: Staatsverrat. Thomas Ammer erhält mit 15 Jahren Zuchthaus die höchste Strafe. 1964 wird er in die Bundesrepublik entlassen.
Zitierempfehlung: „Eisenberger Kreis“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145433
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Der erste Prozess war Ende September '58, vor dem Ersten Strafsenat des Bezirksgerichts Gera, mit stark eingeschränkter Öffentlichkeit`. Das heißt, da waren eigentlich in dem ersten Prozess ausschließlich FDJ- und Parteifunktionäre sowie Stasi-Offiziere in zivil und je ein Familienangehöriger der Angeklagten da. Speziell in dem letzten Prozess gegen die Studenten, wo die Strafen relativ niedrig waren, ist es auch einigen Studenten, die zu dem Regime konträr standen, gelungen, sich Zutrittskarten zu verschaffen. Dadurch sind dann auch ein paar Informationen in den Westen gekommen.
Der Prozess war eigentlich mehr oder weniger eine Formalsache. Das heißt, es wurden Verhörprotokolle, die die Staatssicherheit dem Gericht zur Nutzung empfohlen hatte, mehr oder weniger wiederholt. Der Richter verfuhr ähnlich wie die Staatssicherheit auch. In einem Teil des Verhörs vor Gericht wurde ein Gebrüll veranstaltet, fast wie von Freisler am Volksgerichtshof der Nazizeit, und dann normalisierte der sich wieder. Wobei man im Nachhinein sagen muss: In den Papieren, die ich im Bundesarchiv gesehen habe, galt dieser Richter selber als unzuverlässig. Und er hat ganz eindeutig – wir mussten ja zum Teil auch als Zeugen auftreten – in den späteren Prozessen eine ganz merkwürdige Taktik verfolgt. Er ist längst tot. Ich bin mir völlig im Unklaren, was das eigentlich für eine Figur war.
Thomas Ammer, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de