Abschrift
Groß geworden bin ich in einer Industriegegend südlich von Leipzig, die geprägt war vom Braunkohletagebau – es gab riesige Braunkohletagebaue bis zu 90 Meter tief. Die geprägt war von Chemiefabriken, die die Umwelt und die Flüsse zerstörte und vergiftete, von Großkraftwerken mit Abgasen und Schmutz, der vom Himmel fiel. Im Winter war der Schnee grau. Auch wenn es nur wenige Stunden schneite: Der Schnee war grau. Wenn ich Freunde besuchte und aus meinem Dorf mit dem Fahrrad die zehn Kilometer nach Borna fuhr, musste ich immer den Fahrradsattel abputzen. Er war körnig, oder es lag Asche drauf. In dieser traurigen Gegend bin ich groß geworden. Das war kein weiter Weg mehr: vom Erleben dieser Umweltzerstörung bis zum Aufbegehren gegen diese Zerstörung. Ich wollte mich für eine saubere Umwelt engagieren, für eine Erhaltung der Landschaft, der Natur. So kam es auch zum politischen Engagement.
Als ich später diese Aufnäher ´Schwerter zu Pflugscharen`, das Symbol der DDR-Friedensbewegung in den 1980er Jahren, getragen habe, hieß es ziemlich schnell, dass ich mit meiner schulischen Laufbahn nicht weitermachen darf. Ich wurde zum Schuldirektorium gerufen, da saßen mir sechs Damen und Herren gegenüber. In der Hand hatten sie ein Protokoll über ein Gespräch, das vorher schon mit mir geführt worden war. Das war über den Rat des Kreises, Abteilung Volksbildung, wieder zurück zur Schule gekommen. Die Schulleitung musste nun darauf hin wirken, dass ich diesen Aufnäher ´Schwerter zu Pflugscharen` nicht mehr in der Schule tragen würde. Und vor allen Dingen aufhören würde, ihn in der Schule weiter zu verteilen.
Rainer Müller, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de