Abschrift
Ich saß noch in der Untersuchungshaft. Ich bin zwar täglich verhört worden, habe aber nicht mitbekommen, was draußen los war. Als wir im Gefängnis saßen, durften wir das offizielle Parteiblatt lesen, das ´Neue Deutschland`, die ´Leipziger Volkszeitung`, die SED-Zeitung. In der Zeitung habe ich gelesen, dass es eine Zusammenrottung gab, und dass Leute festgenommen worden sind. Es war ungewöhnlich, dass überhaupt darüber berichtet wurde. Das hieß für mich: Es muss sehr viel Aufsehen gemacht haben, der Staat kam nicht umhin, es zuzugeben. Es stand eine Zahl in der Zeitung, aber es war klar: Wenn eine Zahl in der Zeitung steht, ist die selbstverständlich gelogen. Das, was in der Zeitung steht, stimmt nicht. Wenn da steht: ´53 Leute waren da`, dann war anzunehmen, dass mindestens die zehnfache Anzahl von Leuten da gewesen sein muss. Ich wusste: Das ist in der Öffentlichkeit registriert worden. Es gab eine Kundgebung, und viele Leute draußen wissen Bescheid.
Das war ein Triumph für mich. Ich konnte völlig beruhigt sein und musste einfach nur im Gefängnis abwarten. Bis der öffentliche, der internationale Druck so groß wird auf die DDR-Führung, dass die alten Genossen im Politbüro sagen müssen: Lasst die Leute frei, die da in Leipzig im Gefängnis sitzen.
Rainer Müller, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de