Abschrift
Ein Freund von mir, der war in Polen bei einer von der katholischen Kirche organisierten Friedenswallfahrt, hat erzählt, dass sie, ich glaube in Krakau, ein großes Kreuz aus Kerzen auf die Straße gestellt haben und Friedenslieder gesungen haben. Das fand ich ganz toll und symbolträchtig. Ich habe gedacht, das könnten wir auch mal machen. Ich bin nach Hause gegangen und habe mit der alten Schreibmaschine meines Papas erstmal zwölf Flugblätter geschrieben: Die Leute mögen sich doch am 13. Februar an der Ruine der Frauenkirche treffen, Kerzen aufstellen und ´We shall overcome` singen. Es stand noch drauf, dass wir uns von der Polizei nicht kirre machen lassen und eben unser Ding durchziehen sollen. Offensichtlich war mir schon bewusst, dass es Ärger geben kann.
Ich bin los gezogen und habe elf, zwölf von den Flugblättern schon verteilt, bevor ich bei dem Freund überhaupt angekommen bin. Der fand das auch ganz Klasse, und wir haben angefangen, wie die Wilden, mit Durchschlägen an der Schreibmaschine, diese Flugblätter zu vervielfältigen. Ich bin mit meinen Hippieklamotten und einem Henkelkörbchen durch Dresden gelaufen und habe die Flugblätter verteilt. Auch auf dem Bauernmarkt. Dabei habe ich mich von allen Seiten von der Stasi fotografieren lassen. Ich habe mir da irgendwie keinen Kopf gemacht. Das war so ein Grundgefühl, was ich in der Zeit hatte: Mir kann nichts passieren. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, aber ich fühlte mich so stark, mit meinen nun inzwischen 17 Jahren, dass ich irgendwie dachte: Nichts kann schief gehen.
Ich bin festgenommen worden, ich bin verhört worden. Ich glaube, beim ersten Mal waren es sogar 17 Stunden. Das war richtig lange. Ich habe erst bestritten, dass ich es war, habe gesagt, dass ich die Flugblätter nur abgeschrieben habe, weil ich das von jemandem bekommen habe. Ich habe eine Person erfunden, von der ich das bekommen hätte: junger Mann, Anfang 20, lange blonde Haare und Parka, so wie sie alle aussahen. Ich habe irgendwann zugegeben, dass sie eine Beweislast hatten. Ich musste es zugeben, ich war an einem Punkt, wo ich auf einmal überfordert war, wo ich gemerkt habe: Es ist doch nicht so, dass mir nichts passieren kann.
Die verschiedensten Vernehmer haben verschiedenste Dinge getan. Bis dahin, dass ich geschlagen wurde. Ich habe eine Ohrfeige bekommen und musste ewig mit der Lampe im Gesicht da sitzen. Die haben erzählt, dass mein Vater seinen Job verliert. Der war Lehrer zu dem Zeitpunkt. Einer hat mir erzählt, ich würde für das, was ich gemacht habe, elf Jahre in den Knast gehen. Das sind schon Sachen, wenn man 17 Jahre alt ist ...
Man kann ja nicht einordnen, was realistisch ist und was nicht. Sie haben mich nie aufs Klo gehen lassen, stundenlang bei den Vernehmungen. So Kleinterror, wo man immer nervöser wird, weil man einfach mal muss. Da habe ich mich schon unter Druck gesetzt gefühlt. Das war auch wirklich ein Punkt, bei dem ich Angst gekriegt habe. Wo ich mich an die Kirche gewandt habe, an Christoph Ziemer, der war ja zu dem Zeitpunkt Sup[erintendent] in Dresden. Zu dem bin ich über einen Freund vermittelt worden und habe gesagt: ´Okay, ich war das und komm jetzt nicht mehr klar damit`. Und ich habe auch Hilfe bekommen.
Johanna Kalex, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de