Abschrift
Nach der Rosa-Luxemburg-Demonstration 88 im Februar habe ich dann plötzlich einen Anruf gehabt in der Universitätsbibliothek, also auf meiner Arbeitsstelle, von der Abteilung für Inneres, dass ich sofort kommen muss, sofort. Und ich weiß nicht, die haben mir ja nicht gesagt am Telefon, worum es geht oder so, aber eigentlich war es mir relativ klar, dass es entweder irgendwie mit diesem Heiratsantrag oder mit einer Ausweisung aus der DDR zu tun haben muss. Und mir ist sofort das Herz in die Hosen gerutscht, meine Kollegin hat mein Gesicht gesehen, hat angefangen zu heulen. Und ich hab dann erst mal gesagt: „Ich kann nicht kommen, und ich bin hier in einer öffentlichen Bibliothek, und ich kann hier nicht weg, und ich bin ganz alleine“ – das stimmte zwar nicht, aber ist ja egal. Und so konnte ich dann noch zwei, drei Stunden rausschlagen, hab dann sofort bei unserem Pfarrer angerufen in der Zionsgemeinde und hab ihm gesagt: „Ich glaube, die wollen mich rausschmeißen.“ Und der hat gleich Wolfgang ans Telefon geholt und dann mussten wir … haben wir Schnur informiert. Und dann kam der Anwalt und hat sofort ein Papier aufgesetzt, in dem drinstand in etwa, dass wenn es zu einer Ausreise kommen sollte, das gegen meinen Willen passiert ist. Das würde dann einer Ausweisung gleichkommen und nicht einem normalen Ausreiseverfahren.
Und damit bin ich dann … also ich bin dann erst mal in die Zionskirche und hab mich schnell mit Schnur getroffen und mit Wolfgang und bin dann heulend da zur Abteilung Inneres gefahren. Und ja, der meinte dann so ganz freundlich: „Ja, Sie können jetzt ausreisen innerhalb von 48 Stunden.“ Später habe ich festgestellt, die hatten komplett alles abgemeldet – meine Wohnung war abgemeldet, der Strom war abgemeldet, meine Krankenkasse war abgemeldet. Und ich habe denen gesagt: „Nein, ich möchte aber jetzt nicht mehr gehen.“ Und dann fing so ein Geplänkel an, hin und her, und der meinte: „Ja, wieso denn, Sie haben Ihren Heiratsantrag nie zurückgezogen.“ – „Ja, das war ein Versehen, ich habe es mir jetzt überlegt, ich möchte jetzt in der DDR bleiben.“ War ja gerade auch ganz interessant. Na ja, und dann ging das so anderthalb Stunden und dann war irgendwann klar, die werden mich nicht rausschmeißen, also, weil sonst wäre sofort der ganze Presserummel losgegangen. Die hätten, weiß ich … Wolfgang hätte da alles an Presse losgetreten, was irgendwie geht. Und so etwas wollten sie für mich dann natürlich nicht riskieren. Dafür war ich erstens zu unwichtig, und so was wollten sie sich dann nicht noch extra irgendwie an den Hals machen. Na ja, dann durfte ich hierbleiben, also in der DDR bleiben, war ganz schön. Also in der Situation einfach in den Westen zu gehen und bloß noch vor dem Fernseher zu sitzen und zu sehen, was in der DDR gerade politisch passiert, das hätte ich überhaupt nicht ertragen können.
Uta Ihlow, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de