Abschrift
Ich finde diese Frage, die ja oft so kommt: „Ja, die wollten doch eigentlich ganz was anderes, die wollten doch gar keine Wiedervereinigung, die wollten doch eine reformierte DDR“, also die finde ich albern. Weil, vor dieser Frage standen wir ja nicht. Also vor der standen wir bis zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich oder wir haben sie uns nicht gestellt, weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass dieses Regime einfach zusammenbricht. Wir konnten uns als absehbare Perspektive vorstellen, dass es gelingt, diesem Regime Zugeständnisse abzuringen, dass es durch die Umstände gelingt, Freiräume sich zu erarbeiten, weil das Regime immer mehr gezügelt werden oder sich zügeln muss und mehr Rücksichten nehmen muss und so weiter.
Die Perspektive, was man denn dann macht, wenn irgendwann sich mal die Chance ergibt, dass tatsächlich diese Herrschaft in sich zusammenrutscht oder zu stürzen ist, das haben wir ja eigentlich nicht wirklich diskutiert. Also insofern sind wir überrumpelt worden, ja, völlig klar. Und ich denke mal, der Punkt, warum dann von vielen derer, die in der Opposition waren, auch so wenig zu hören war dann in dieser Frage – wo dann viele das darauf interpretieren, na ja, die waren inhaltlich nicht vorbereitet und die wollten ganz was anderes –, es ist ein ganz anderer, den in der Rückschau keiner mehr sieht: Wir waren ausgepowert, wir waren müde, wir waren nämlich … Dieses kleine Häuflein war eigentlich zu diesem Zeitpunkt monatelang, nicht erst seit Wochen, als dann die Massen auf die Straße gingen, eigentlich fast rund um die Uhr irgendwo wie im Hamsterlaufrad, irgendwo im Einsatz, haben Sachen gemacht. Die waren ausgepowert, die konnten teilweise einfach nicht mehr, mussten trotzdem noch, aber da waren dann eben andere einfach ausgeschlafener. Und das hat noch nicht mal was damit zu tun, welche Haltung man dazu einnahm.
Also ich habe mir darüber wenig Gedanken gemacht, ich habe mich über den Mauerfall gefreut. Also ich gehörte nicht zu denjenigen, die jetzt sagten: „Oh Gott, jetzt rutscht das alles zusammen.“ Und für mich war auch dann die Frage eigentlich einer … „Ja, wir müssen jetzt doch aber die Eigenstaatlichkeit der DDR als Wert erhalten“, die stand für mich dann nicht mehr, also weil einfach … Für mich war dann immer die praktische Frage, die ich dann den Leuten gestellt habe: „Und wie stellt ihr euch das in Berlin vor? Also, wollen wir jetzt die Mauer halten und dann nur so ein bisschen kontrollieren, oder wie?“ Also es geht nur, entweder man sucht eine Perspektive, wie das möglichst so geht und man möglichst viel von den Dingen, die man vertritt, einbringen und umsetzen kann. Aber zu sagen jetzt plötzlich, es ist ein Wert an sich, eine eigenständige DDR zu erhalten, das ist albern. Also, das wäre allein in Berlin völlig unpraktikabel und gar nicht machbar gewesen.
Peter Grimm, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de