Abschrift
„Ein oppositionelles Denken war bei meinen Eltern da. Eine kritische Einstellung, eine kritische Haltung, aber mir und meinen Geschwistern gegenüber ... Ich hatte nicht den Eindruck, dass ich durch meine Eltern voreingenommen war, sondern eher so: Macht eure Erfahrung selbst und guckt mal. Das ist das Land, in dem ihr leben müsst, und ihr sollt nicht gleich gegen das Land eingenommen sein.
Ich war bei den Jungen Pionieren, war da auch ganz aktiv, das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich war später auch Gruppenratsvorsitzende in der FDJ, aber da bin ich dann rausgeschmissen worden. Vielleicht ist das nicht ganz korrekt ausgedrückt, ich durfte keine Funktion übernehmen. Das ist verboten worden. Eine richtige Begründung habe ich nicht bekommen, aber die Erklärung war: Meine Eltern haben den falschen Beruf, stehen auf der falschen Seite in der Gesellschaft. Ich durfte keine Funktion übernehmen, weil ich nicht die richtige Haltung weitertragen könnte.
Meine Kameraden wollten mich gerne, die hätten mich gerne in diese Funktion gewählt, weil ich mich einsetzen und Probleme ansprechen konnte. Die wollten mich auch alle wieder als FDJ-Vorsitzende wählen – ich weiß gar nicht mehr genau, wie das hieß –, aber das durfte ich dann nicht. Das war schon eine Kränkung. Ich durfte dann auch nicht mehr Abitur machen, obwohl ich die Klassenbeste war und einen Durchschnitt von 1,0 hatte. Das zog sich dann fort, und ab dem Moment habe ich mich sehr eingeschränkt gefühlt.
Ich wusste erstmal gar nicht, was ich nach der Schule machen soll. Ich hatte gar keine Idee von einer Ausbildung. Ich wollte gern was mit Musik oder Sprachen studieren, aber das ging ja nun nicht. Dann habe ich von einem Selbstmord, einer öffentlichen Verbrennung eines Pfarrers gehört, gelesen: Pfarrer Brüsewitz. Ich habe viel darüber nachgedacht, und dann dachte ich: Wenn ein Mensch sich umbringen muss, um andere Menschen aufzurütteln, wenn das ein Pfarrer ist, dann soll das nicht umsonst gewesen sein. Das hat mich sehr geprägt. Auch mit der Haltung: Ich möchte was tun. Ich habe gedacht, ich will jetzt sagen, was ich denke. Ich werde nicht mehr schweigen, wenn ich sehe, dass etwas nicht in Ordnung ist, wenn ein Unrecht geschieht oder es irgendwie schief läuft. Und so bin ich in die Ausbildung nach Jena gegangen und habe mich dadurch weiterhin sehr unbeliebt gemacht.“
Dorothea Fischer, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de