Abschrift
„Es waren Leute, die waren alle ein bisschen verrückt gekleidet, die sahen verrückt aus. Die Männer hatten lange Haare und Bärte und trugen Parkas – damals hieß das Kutten, die waren ausgefranst. Und Jeans, da achtete man nicht so drauf, dass die super schick und sauber waren. Das hat mir alles ein bisschen Angst gemacht, aber auf der anderen Seite hat es mich auch fasziniert. Ich habe die bewundert, ich habe zu denen aufgeschaut. Es war eine sehr offene Atmosphäre. Da war ein Jugenddiakon, der fragte: Wer hat Lust, das nächste Mal den Abend zu gestalten oder ein Thema auszuarbeiten?`.
Es wurden viel politische Themen diskutiert: Das Verhältnis Lehrlinge und Arbeitgeber, würde man heute sagen. Wie kann man sich im Betrieb zurecht finden, was passiert eigentlich in den anderen sozialistischen Ländern? Man hat sich vor allen Dingen darüber ausgetauscht, was man so erlebte, auf der Arbeit oder in der Ausbildung, was anderen widerfahren ist. Wenn einer aus der Uni geschmissen wurde oder jemandem die Arbeit gekündigt wurde. Was kann man machen?
Das ist ja eigentlich schon Politisieren, wenn man überlegt, was einem selber oder seinen Freunden widerfährt. Wenn man überlegt, das einzuordnen und damit umzugehen. Diese religiösen Themen spielten wirklich nur eine untergeordnete Rolle. Es ging eher um angewandtes Christentum. Man musste nicht drüber sprechen, man versuchte es zu leben. Das hat der Kirche irgendwie ein bisschen Kopfzerbrechen und Herzklopfen bereitet. Einerseits, denke ich, dass sie wollten, dass wir erhalten bleiben, dass es uns weiter geben kann. Andererseits wussten sie, was wir es nicht so einschätzen konnten, dass wir mit dem Feuer spielen.
Irgendeiner brachte das mit, dass es auch in anderen Ländern so laufen sollte, dass eine Schweigeminute für den Frieden abgehalten werden sollte. Und dann haben wir überlegt: Das machen wir auch. Wir sind dahin gegangen und haben uns im Kreis aufgestellt. Die Stasi wusste das offensichtlich. Wir wurden da beobachtet. Ich glaube, es wurden Fotos gemacht: zum Teil auf dem Hinweg, teils, als wir da standen.
Frage: Und hat die Stasi da schon eingegriffen?
Bei der ersten Schweigeminute nicht. Ich glaube, bei der zweiten. Das ist schon so lange her, ich weiß es gar nicht mehr. Ich glaube, es gab zwei, und die zweite war Heilig Abend oder kurz vor Weihnachten. Ich weiß noch, dass mich die Stasi mit meiner kleinen Tochter mitgenommen hat. Wir haben am Heiligen Abend ein paar Stunden auf der Kriminalpolizei herumgesessen und blöde Fragen beantwortet. Ich habe mir Sorgen gemacht, was mit meiner Tochter ist, weil sie die von mir getrennt hatten. Ich wusste nicht: Geht es der gut, ist das jetzt was, wie muss ich mich jetzt verhalten? Muss ich mir jetzt Sorgen machen, dass es meiner Tochter nicht gut geht, muss ich jetzt eher entgegenkommen? Das war ganz schwierig.“
Dorothea Fischer, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de