Abschrift
Diese Literatur war vorhanden, die hatten einzelne Leute bei sich zu Hause. Für uns war klar: Man muss eine Möglichkeit schaffen, dass wir das jedem zugänglich machen können. Es war klar, dass das in der DDR strafrechtlich relevant war – die Weitergabe von westlicher Literatur. Aber wir dachten, wir machen das hier, in diesen geschützten kirchlichen Räumen. ´Die Krebsstation` von Solschenizyn liest man sich einmal durch. Das muss man nicht zu Hause stehen haben, das muss man dann weitergeben. Es herrschte ja absolutes Informationsdefizit in der DDR. Dann haben wir uns über Unterstützer in West-Berlin gute Kanäle erschlossen, mit denen wir uns in den folgenden Monaten Literatur, aber auch Zeitschriften und Zeitungen aus West-Berlin haben besorgen, haben reinschmuggeln lassen, in die DDR.
Die erste Veranstaltung, mit der wir groß bekannt wurden, war der Reaktor-Unfall in Tschernobyl. Die Radiomeldungen sickerten ja nur ganz scheibchenweise durch. Nur im Westen wurde richtig informiert. Zu dem Zeitpunkt war schon bekannt: Es gibt da irgend sowas wie eine Umweltgruppe an der Zionskirche. Wir hatten noch nicht mal die Umwelt-Bibliothek geöffnet. Da gab es Mütter vom Kindergarten, die jetzt Sorgen hatten wegen der Milch, ob man die noch verwenden kann – solche Sachen. Mütter, die beim Pastor die Bude einrannten. So war das eben in der DDR, dass der Pfarrer Ansprechpartner für alles war. Der musste zu allem was sagen, der sollte alles wissen.
Der meldete sich dann ganz schnell bei mir und noch jemandem und sagte: ´Ihr wollt doch diese Umwelt-Bibliothek aufbauen. Ich weiß auch nicht, was ich den Leuten sagen soll`` Heraus kam dann ganz schnell die Idee, dass wir als erste Veranstaltung einen Themenabend dazu im Gemeindesaal machen. ´Morsche Meile` hieß die Veranstaltung – da wurde ein Plakat in den Schaukasten der Kirche reingebaumelt. Rot und schwarz, mit einem Reaktor-Umriss. Das hat enorm gezogen, damals.
Christian Halbrock, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de