Abschrift
Moderatorin:
„Originell geht es zurzeit in der Umwelt-Bibliothek in Ost-Berlin zu. Die Künstlergruppe AG Mauerstein stellt aus. Peter Wawerzinek hat sich unter die Besucher gemischt.“
Peter Wawerzinek:
„Tatschke hat Zukunft. Denn die Angepassten fallen von der toten Zeit ab wie Läuse`, sagte Elias Canetti. Seine Mittel sind denkbar einfachste, ja, geradezu naheliegend. Jeder könnte es, wenn er Igor Tatschke wäre. Er bemalt aufgeklappte Pappkartons, klebt Zeitungsschnitzel hinein oder sprüht Schallplatten einfach ein, füllt alle vier Wände des Raumes bis zur Decke aus. In der Mitte der bemalte Fernseher, ein Testprogramm.
Seine Kunst ist absolut eigenständig, jedoch ist der Zugang nicht so leicht. Denn immerhin hat er die Großstadt auf Echos abgeklopft – ein überhaupt chaotischer Fundus, für jeden Bürger, jeden Künstler dieser Stadt gratis, erst recht für ihn. Und er trifft den Nerv der Zeit, seiner Zeit, weil er in einer Bewegung steckt, die unmittelbare Veränderung bereits praktiziert, still aufkommende Gefühle gegen Althergebrachtes auslebt, expressiv orientiert ist im Bewusstsein, Grundlegendes in der Kunst wie im Leben zu verändern – beides nebeneinanderliegend.
Er arbeitet nicht im Verborgenen. Er hat die Bewegung und Abstraktion in der Kunst lebendig gemacht, neu inszeniert, um Dinge zusammenzubringen – Häuser, Schönheit, Egozentrik, Parolen, Wut, Körperteile, Blickwinkel, Armreifen, Ohrläppchen, Schrift, schließlich Autos, Papierknistern, Pornografie und Taxifahrer, wie sie halt eben gewöhnlich so nebeneinanderliegen.
Dies aufzuzeigen ist die eigentliche Provokation seiner Bilderwelt. Es handelt sich eben nicht um ein jugendlich frisches Großstadtfrühlingsgedichtchen, angefüllt mit schlappen Vergleichen, doppelsinnigen Anspielungen, verdeckten Aussagen. Seine Kunst ist pur, und rund ist der Raum, in dem sie sich artikuliert.
Wenn einst die Wirklichkeit seiner Bilder ihr gleichen wird, hat die eigentliche Revolution der Sinnlichkeit, der Entladung stattgefunden. Ja, der Betrachter, der eingeweihte oder nicht eingeweihte, wünscht sich ein solches Berlin, eine solche Stadt, die farbentolle Motzer-Zentrale, eingehüllt vom swingenden Rhythmus der Sofortäußerung.“
Quelle: Radio Glasnost, Oktober 1987