Dresden, Winter 1982. Angeregt durch ein Vorbild aus Polen, ruft Johanna Kalex mit 17 Jahren zu einer Friedensdemonstration an der Ruine der Dresdner Frauenkirche auf. Sie entwirft ein Flugblatt, auf dem steht, man möge sich am 13. Februar 1982 an der Frauenkirche versammeln und ein Kreuz aus Kerzen aufstellen. Uhrzeit: zehn Minuten vor 22 Uhr, dem Beginn der Bombenangriffe von 1945. Pikant: Am selben Tag gibt es bereits eine hoch offizielle staatliche Kundgebung. Johanna Kalex ruft die Gegenveranstaltung nicht nur zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens ins Leben, sondern auch aus Protest gegen die Aufrüstung. Sie und eine Freundin lassen heimlich mehrere Tausend Exemplare des Aufrufs in der Druckerei der Sächsischen Zeitung herstellen und verteilen die Flugblätter in Dresden.
Das alles bleibt der Staatssicherheit nicht verborgen. Johanna Kalex wird noch vor der geplanten Demonstration festgenommen und unter massivem Druck verhört. Man droht der nun 18-Jährigen mit elf Jahren Haft. Hilfe bekommt sie vom Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider und vom SuperintendentenChristoph Ziemer, die sich schützend vor sie stellen und mit Stasi und SED verhandeln. Ihr würde nichts passieren, sagt man ihr, wenn es am 13. Februar 1982 zu keiner Konfrontation zwischen Demonstranten und Polizei käme.
An diesem Tag organisiert die Kirchenleitung in der Dresdner Kreuzkirche ein Friedensforum, um so die Leute von der Frauenkirche fernzuhalten und den offenen Konflikt mit der Staatsmacht zu verhindern. Johanna Kalex und ihre Freunde werden in dessen Gestaltung einbezogen, dürfen aber nichts Wesentliches mitbestimmen. Trotz der Gegenmaßnahmen der Kirche folgen rund 8.000 Menschen aus der ganzen DDR dem Aufruf von Johanna Kalex, pilgern zur Frauenkirche und schmücken die Ruine mit Blumen und Kerzen. Selbst die Westmedien sind da und berichten von diesem ersten großen und öffentlichen Treffen der Friedensbewegung in der DDR.
Johanna Kalex selbst kann nur die Berichte im Deutschlandfunk hören, denn Freunde fahren sie zu ihrem Schutz direkt von der Kreuzkirche nach Hause zu ihren Eltern. Mit einer derartigen Resonanz ihres Aufrufs hat sie nicht gerechnet; selbst 200 Demonstranten wären ihr schon viel vorgekommen.
Auch danach bleibt die Gruppe um Johanna Kalex eine der aktivsten in der DDR-Opposition. Sie organisiert eigenständig Friedenswerkstätten und vertritt radikale pazifistische Positionen, die sich kaum mit der gemäßigten kirchlichen Friedensarbeit vertragen. Die Aktivisten werfen den Kirchenleuten zu große Kompromissbereitschaft gegenüber dem SED-Regime vor.
Nachdem Bischof Johannes Hempel die Aktivisten im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die Linie der Kirche als „Schafe im Wolfspelz“ bezeichnet hat, nennt sich die Gruppe fortan Wolfspelz. Wolfspelz hält Kontakte zu anderen Oppositionsgruppen in der DDR, aber auch in Polen und der CSSR (Charta 77).
Biografische Angaben zu Johanna Kalex finden sie im Personenlexikon.
Zitierempfehlung: „Johanna Kalex“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145513
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Wie hat denn der Staat so auf unangepasste Jugendliche reagiert?
Wir haben schon relativ schnell auch Ärger bekommen. Also mein erstes Verhör hatte ich – das war kurz nach meinem 15. Geburtstag – eigentlich nur deswegen, weil wir auf einem Zeltplatz waren und da irgendwelche Lieder gesungen haben nachts. Da hat uns jemand angezeigt, und dann hieß es, da sei jemand in eine Laube eingebrochen und hätte irgendwie Schuhe geklaut. Und da wurde ich danach vernommen, mit welchen Leuten ich dort gewesen wäre und so weiter und so fort. Das mit den Schuhen war natürlich irgendwie ein Vorwand. Also, es gab viele Sachen, die mich aufgeregt haben, Widersprüche. Eben gerade, wie gesagt, durch mein Elternhaus so geprägt: Gewalt ist total scheiße. Auf der einen Seite halt dieses Friedensgelaber in der Schule, auf der anderen Seite Aufrüstung und vormilitärische Ausbildung, also die ich ja auch verweigert habe dann. Das hat mich aufgeregt.
Ja, ich hab ja angefangen, so ein Fachschulstudium – Unterstufenlehrerin Sport, Mathe, Deutsch – zu machen und bin halt aus der FDJ ausgetreten gleich in der ersten, zweiten, dritten Woche. So. Und da gab es Riesendiskussionen. Die waren der Meinung, dass eine zukünftige Lehrerin nicht aus der FDJ austreten darf, und ich hab da aus Trotz dann mein FDJ-Hemd verbrannt und hab dann wiederum halt als Strafe irgendeine Ordnungsstrafe – nein, Ordnungsstrafe nannte sich das nicht, wie heißt denn so was – ein Disziplinarverfahren heißt das, genau, bekommen und bin ja auch in der Folge dann irgendwann exmatrikuliert worden nach sechs Wochen. Ich hab da nie groß drunter gelitten. Ich hab eh so … alles ist offen, ich kann machen, was ich will. Und ich hab schon den Druck gespürt auch von meinen Eltern, die gesagt haben: „Mädchen, du musst doch einen Beruf lernen“, und so. Aber für mich selber war eine ganz andere Sache wichtig in der Zeit. Ich hab … war halt auch sehr trotzig. Ich war dann auch frech bei diesem Disziplinarverfahren und hab denen halt gesagt, dass die mir egal sind und so. Also ich hab da nicht besonders drunter gelitten, dass ich da dieses Disziplinarverfahren hatte und diese endlosen Aussprachen, sondern das war vielleicht auch `n bisschen Selbstbestätigung sogar: Ich bin stark und die haben Angst vor mir, weil ich irgendetwas mache.
Johanna Kalex, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de