Spontaner Widerstand: Der 18-jährige Oberschüler Hermann Joseph Flade entschließt sich, ganz allein gegen die Scheinwahlen vom 15. Oktober 1950 zu protestieren. Mittels eines Schüler-Druckkastens entwirft er Flugblätter und verteilt sie kurz vor den Wahlen in seiner sächsischen Heimatstadt Olbernhau. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, AU 12/52, Bd. 1
Für die Herstellung seiner Flugblätter verwendet Hermann Joseph Flade auch die Rückseite dieses offiziellen Wahlplakats. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, AST 12/52 GA/Beiakte II und III
Das abgebildete Flugblatt verteilt Hermann Joseph Flade im Vorfeld der Volkskammerwahlen. Dabei wird er von einer Volkspolizeistreife überrascht. Gegen seine Festnahme wehrt er sich mit einem Taschenmesser. Er verletzt einen Polizisten leicht am Arm und am Rücken, wodurch ihm zunächst die Flucht gelingt. Zwei Tage später wird er festgenommen. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, AU 12/52, Bd. 1
Mit diesen Druckbuchstaben fertigt Hermann Joseph Flade etwa 200 Flugblätter gegen die Volkskammerwahlen vom 15. Oktober 1950 an. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, ASt 12/52 GA/Beiakte II, III
Keine Chance für Hermann Joseph Flade: Die Polizei macht aus der Abwehraktion mit dem Taschenmesser einen Mordversuch an einem Volkspolizisten und fahndet mit diesem Plakat nach dem Schüler. Zwei Tage nach der Aktion wird er verhaftet. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, 12/52, GA/Beiakte II, S. 82 Abschrift
Ein Flugblatt, das nach der Verhaftung Hermann Joseph Flades in Olbernhau verteilt wurde. Quelle: PZ-Archiv (Publizistisches Zentrum) Nr. 6, 2. Jg. 1951, S. 23 Abschrift
Diese Aufnahme zeigt Hermann Joseph Flade bei seiner Arbeit in der Krankenstation des Zuchthauses Waldheim (circa 1958). Quelle: BStU, MfS, Ast Leipzig, AIM 642/60 Teil I, Bd. 1, S. 13
F steht auch für Flade: Flugblatt gegen die Inhaftierung Hermann Joseph Flades. Es wird im Januar 1951 in der SAG Wismut angebracht. Quelle: BStU, MfS, ZA/AS 41/57
Im Mai 1957 ist Hermann Joseph Flade schon fast sieben Jahre im Gefängnis. Im Bild: Programm einer Veranstaltung Westberliner Jugendorganisationen zur Unterstützung des Inhaftierten. Quelle: BStU, MfS, ZA/AS 11646/62a Abschrift
Meldung einer westdeutschen Zeitung über die Ablehnung eines Gnadengesuchs für den in der Haft erkrankten Hermann Joseph Flade, 6. November 1957. Quelle: BStU, MfS, ZA/AS 11646/62a Abschrift
Zeitungsbericht über Hermann Joseph Flade, Oktober 1960. Quelle: BStU, MfS, Ast Chemnitz, 12/52 GA/Beiakte 1 Abschrift
Am 15. Oktober 1950 finden in der DDR die ersten Volkswahlen statt. Der Begriff trügt: Die Bevölkerung hat überhaupt keine Wahl. Denn schon vor den Abstimmungen werden alle Mandate der Volkskammer, der Landtage und Kommunalvertretungen nach einem vereinbarten Schlüssel unter den Parteien und Massenorganisationen verteilt. Es steht von vornherein fest, dass die SED zusammen mit den SED-Abgeordneten der Massenorganisationen die absolute Mehrheit stellt.
Gegen diesen offensichtlichen Betrug empört sich ein 18-jähriger Oberschüler aus dem sächsischen Städtchen Olbernhau. Mit einem Druckkasten stellt Hermann Joseph Flade ungefähr 200 Flugblätter her. Die verstreut er nachts heimlich auf Straßen und Plätzen. Beim ersten Mal geht alles gut, doch am Vorabend der Wahl überrascht ihn eine Streife der Volkspolizei. Hermann Joseph Flade wehrt sich: Er zieht ein Taschenmesser, verletzt einen der Polizisten leicht und entkommt. Zwei Tage später wird er festgenommen.
Das kann die Partei nicht auf sich sitzen lassen. Die SED will ein Exempel statuieren: Die Hauptverhandlung gegen Hermann Joseph Flade findet als Schauprozess in der Gaststätte Tivoli statt, dem größten Saal der Kleinstadt. Der ist voll, denn die Parteiorganisationen und Betriebe verpflichten etwa 1.200 ihrer Mitglieder bzw. Mitarbeiter zur Teilnahme. Zum Ärger des Gerichts bekennt sich der junge Angeklagte offen zu seiner Tat. So zitiert ihn das Verhandlungsprotokoll: „Ich sagte mir, bei einer Wahl müsste auch eine andere Stimme gehört werde. Da ich das nicht offen machen konnte, weil ich sonst von der Schule fliegen würde, musste ich das nachts im Geheimen tun.“
Am 10. Januar 1951 verhängt das Gericht das drakonische Urteil: Todesstrafe für Hermann Joseph Flade. In der Bundesrepublik und in West-Berlin ruft das Urteil eine öffentliche Protestwelle hervor. Aber auch in der DDR bricht untergründig ein Sturm der Entrüstung los: Vielerorts tauchen Flugblätter und Wandparolen auf. Unter dem Druck der Proteste sieht sich die SED genötigt, das Todesurteil in großer Hast umzuwandeln. 19 Tage später verkündet man in zweiter Instanz: 15 Jahre Zuchthaus. Nachdem Hermann Joseph Flade zwei Drittel seiner Strafe in Bautzen, Torgau und Waldheim verbüßt hat, wird er 1960 im Rahmen einer großen Amnestie entlassen. Er verlässt die DDR und geht in den Westen.
Zitierempfehlung: „Hermann Joseph Flade“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung September 2018, www.jugendopposition.de/145426
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Die Jahre '50, '51, '52 waren die schlimmsten. Da war ich noch nicht in dem Alter, wo ich das so komplett wie die ältere Generation mitbekommen habe. Wir haben mehr die Schauprozesse in der DDR mitbekommen, die Frau Benjamin geführt hatte. Das lief zum Teil auch über den Rundfunk. Die Urteile haben stark provozierend gewirkt. Das heißt, sie haben die Radikalität, mit der wir das SED-Regime abgelehnt und bekämpft haben, erheblich gesteigert. Vor allen Dingen, weil dann immer wieder Todesurteile gefällt wurden. Gerade der Flade-Prozess hat eine ungeheure Rolle gespielt, auch bei vielen anderen Gruppen, wie ich später aus den Akten entnommen habe. Das ging durchaus so weit, dass wir uns sagten: Wenn irgendjemandem von uns die Todesstrafe droht, dann kann es passieren, dass man Vergeltungsmaßnahmen ergreift.
Thomas Ammer, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de