Abschrift
1990 nach den Volkskammerwahlen ging das dann ja relativ schnell in Richtung Wiedervereinigung, also erst mal die Währungsunion am 1. Juli und dann auch dieser Einigungsvertrag. Und da war dann … anscheinend war dann relativ schnell klar, dass die Sachen, die die Volkskammer verabschiedet hatte, nämlich so eine Art Akteneinsichtsrecht oder die Verwaltung der Stasi-Akten und auch ein Rehabilitierungsrecht, dass das aus dem Einigungsvertrag wieder rausgeflogen ist. Und das hieß nach westdeutschem Standard, diese Akten kommen mindestens dreißig Jahre unter Verschluss. Und eine der Forderungen, dass man also diese Arbeit dieses Geheimdienstes öffentlich macht, also völlig hinten runtergefallen ist. Und da stand dann am Archiv auch schon – in Lichtenberg da, am Stasi-Archiv – dran schon: Außenstelle des Archivs Koblenz oder so. Hatte dann schon einer das Schild gesichtet und das brachte dann irgendwie die Sache noch einmal zum Kochen. Und dann haben wir uns verabredet und sind dann da reinmarschiert, haben die Polizisten, die das bewacht haben, überrumpelt.
Wir waren damals im staatlichen Auflösungskomitee beschäftigt und ich hatte noch so eine Klappkarte als Abteilungsleiter. Damit haben wir dann die Tür aufgemacht und haben dann einen Holzkeil zwischen Tür und Rahmen geschoben, sodass sie nicht mehr zudrücken konnten, und dann waren wir 30 Mann drin. Na ja, da haben wir uns da oben verbarrikadiert, hatten die Presse natürlich auch schon im Vorfeld informiert. Dann haben wir schon damit gerechnet, dass sie uns wieder raustragen, und hatten uns im letzten Raum da eingeschlossen. Und dann haben sie immer die Türen aufgebrochen und da war dann halt vor unserer Tür Halt. Dann kam die Volkskammerpräsidentin, Frau Bergmann-Pohl, und dann ging es in langen Verhandlungen, dass die Polizei wieder abzog, dass die Presse hinzugezogen werden konnte. Na ja, und dann hatten wir ständig Besuch von Leuten von der Volkskammer und haben den Druck erhöht, indem wir nach 12 Tagen mit dem Hungerstreik angefangen haben und haben dann 16 Tage lang den Hungerstreik durchgezogen, bis dann in irgendeinem Zusatzbrief oder Zusatzprotokoll klar war, die Akten werden nicht nach dem westdeutschen Archivrecht behandelt, sondern werden der Öffentlichkeit und auch der Forschung zugänglich gemacht und auch der Presse zugänglich gemacht und es wird ein eigenes Gesetz und eine eigene Behörde geben, die diese Akten verwaltet. Also wir waren ungefähr, ich glaube, knapp 28 Tage da drin.
Reinhard Schult, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de