Abschrift
Biermann habe ich erst kennen gelernt, als sie ihn rausgeschmissen haben. Ich glaube, dass es vielen in der DDR so gegangen ist. Ich glaube, dass er vorher lediglich in einem relativ eingeschränkten, intellektuellen, künstlerischen Kreis bekannt war. Aber die Massenverbreitung, das ist durch den Rausschmiss, die Biermann-Konzerte und durch die Reaktionen in der DDR passiert.
Um den 16. herum, da waren wir noch in der Grundausbildung, hatten wir auf einmal Nachrichtensperre. Bis dahin hatten wir im Fernsehraum unten immer ´Aktuelle Kamera` sehen können, abends nach der Ausbildung. Auf einmal war Nachrichtensperre und Fernsehverbot. Als wir dann von Peetz in Königs Wusterhausen ankamen, haben uns die Zivilangestellten gesagt, was passiert ist. Da waren ein, zwei Leute unter uns, die schon mal Kontakt hatten, oder zumindest die Namen Reiner Kunze, Jürgen Fuchs, Biermann, Havemann und so weiter schon mal gehört hatten. Da haben wir uns während der Armeezeit versucht, die Texte zu besorgen. Ich hatte mal in Berlin beim Ausgang – man hat auch Urlaub gekriegt – Freunde besucht. Einer von ihnen hat ein Biermann-Konzert mitgeschnitten. Dann habe ich mein Tonbandgerät mit in die Kaserne genommen. Das durfte man. Ich habe das überspielen lassen und dann haben wir das, relativ leise natürlich, angehört.
Und dann haben wir angefangen, die Texte abzuschreiben. Eine Schreibmaschine konnte man da auch haben. Ein Original und acht Durchschläge – wobei man den letzten Durchschlag nur noch relativ schwer lesen konnte. Da haben wir angefangen, die Texte von Biermann, Pannach, Fuchs und Kunze abzuschreiben. Wir haben das meiste im Heizhaus gemacht, da waren immer zwei, die geheizt haben. Wenn wir abgeschrieben haben, hat einer Schmiere gestanden. Wir hatten Rundgänge, einmal am Tag oder einmal in einer Schicht. Wenn ein Offizier vom Dienst vorbei kam und nachsah, ob alles in Ordnung war, musste man schon ziemlich aufpassen. Da hat die jeder mit nach Hause genommen und das zu Hause nochmal abgeschrieben. So hat sich das verbreitet.
Zwei Freunde und ich haben eine kleine Propagandatruppe gebildet, mit zwei Gitarren und einer Querflöte, um in den Jungen Gemeinden – und da, wo man sonst so hin kam – die Themen ´Wehrdienstverweigerung` und ´Bausoldaten` zu verbreiten. Da haben wir auch Biermann-Texte gesungen, natürlich ohne zu sagen: ´Das ist von Biermann`. Wir sangen ´Soldat, Soldat in grauer Norm` oder ´Du, lass dich nicht verhärten`, aber auch Texte von Tucholski, Kästner, Borchert und so weiter. Damit haben wir versucht, Jugendliche über ein Kulturprogramm zu erreichen und zu motivieren, den Wehrdienst zu verweigern.
Reinhard Schult, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de