Abschrift
Ich bin geborener Berliner, wurde 1951 in Kaulsdorf, am Rande von Berlin, geboren. Von daher kannte ich noch die offene Grenze, die Mauer. Wir sind jede Woche einmal nach West-Berlin gefahren, zum Einkaufen, Zeitungen besorgen: Mickey-Mouse-Hefte und Hörzu für meine Mutter. Wir haben immer 50 Ostmark umgetauscht, der Kurs war eins zu fünf. Da haben wir Bananen, Obst oder Schokolade eingekauft.
Meine Mutter hatte die Absicht, nach dem Westen abzuhauen. Sie hatte schon eine Arbeitsstelle in Baden-Württemberg, erstmal eine vorübergehende, und auch eine Bleibe. Ihre Kollegin, meine Patentante, ist 1957 nach dem Westen abgehauen, und da war das Thema immer schon zugegen.
Wir hatten genau für den 13. August den Termin, hatten Flugkarten von West-Berlin nach Frankfurt am Main. Morgens um sechs trommelte es an der Tür meiner Mutter, da riefen Kollegen: ´Die haben die Grenze zugemacht! Die Grenze ist dicht!`. Wir sind an diesem Tag noch durch die Gegend, an der Grenze rumgelaufen, aber meine Mutter hatte keine so richtige Ahnung, wo eigentlich die Grenze in Berlin verlief – obwohl sie Berlinerin war. Wir sind nicht mehr rausgekommen.
Meine Mutter ging, obwohl sie schon ein bisschen älter war – so Mitte, Ende 30 –, zur Jungen Gemeinde in Kaulsdorf. Sie hatte da einen relativ guten Kontakt, war nicht tief religiös, sondern war gern in diesem Umfeld, wo kritisch gedacht und überlegt worden ist. In der Junge-Gemeinde-Zeit herrschte schon eine Atmosphäre von Protest, was aber über die Musik ging. Das ging in den 1960er Jahren mit den langen Haaren los. Da ist man in der Schule ständig angegriffen worden, wenn die Haare zwei Zentimeter über dem Kragen waren. Dann sagte der Klassenlehrer: ´Nun wird es mal wieder Zeit zum Friseur zu gehen`. Ich bin aus der Tanzschule geflogen, als ich im ersten Lehrjahr war. Der Tanzleiter sagte, ich solle endlich mal zum Friseur gehen. Als ob der einen Dachschaden hat. Da bin ich dann nicht mehr hingegangen.
Reinhard Schult, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de