Abschrift
Ich habe diese Pressekonferenz im Fernsehen gesehen von Schabowski, in der es also da so irgendwie hieß, dass Bürger der DDR jetzt mit einem Visa in den Westen reisen können. Das betrifft alle DDR-Bürger und so weiter. Und ein Freund von mir hatte an dem Abend vorgehabt, über die Prager Botschaft in den Westen auszureisen. Und ich bin dann, als ich diese Pressekonferenz gesehen hatte, zu ihm hingegangen. Der wohnte zwei, drei Häuser weiter, war an diesem Abend wirklich gerade so mit Koffer in der Hand bereit loszufahren. Und da habe ich zu ihm gesagt: „Du, ich glaube, du brauchst nicht mehr fahren, ich glaube, du kannst direkt über die Westberliner Grenze gehen.“ Und wir sind dann irgendwie … Da sagte er, ja, da wird er mal gucken, aber er glaubt das nicht. Und dann sind wir noch in eine Kneipe gegangen im Prenzlauer Berg, so unsere damalige Stammkneipe. Und er hat dann die Wirtin gebeten, doch mal bitte das Radio anzumachen, weil da möglicherweise Nachrichten wichtig werden könnten und die eventuell die Mauer aufgemacht haben.
Und dann stand der Siegbert Schefke plötzlich da auch in der Kneipe und sagte: „Du, Aram, wir müssen jetzt mal los.“ Und da habe ich gesagt: „Genau, wir müssen los“, und sind dann zur Bornholmer Straße gefahren. Und da hab ich dann … Also, da waren plötzlich … 20 bis 25 Personen standen da etwa vor der Grenze, vor so einer kleinen Drahtgittertür, und davor stand eben noch ein ABV, so ein Polizist. Und der beantwortete also ständig Fragen von Menschen, die dahin kamen und sagten: „Stimmt das, was der Schabowski im Fernsehen erzählt hat, kann man heute hier rüber?“, und so. Und dann meinte der, nein, man müsste sich ein Visa besorgen und soll wieder nach Hause gehen und nichts ist passiert und gar nichts ist passiert und so. Und ich habe den auch gefragt und er hat mir auch diese Antwort gegeben. Und dann hab ich so überlegt, dass das eigentlich ganz schön schwierig sein müsste, dass der Mann jetzt alleine also Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Fragen beantwortet, die alle in dieselbe Richtung zielen. Und da hab ich dann daraus geschlussfolgert, dass das möglicherweise … dass der überfordert ist mit der Antwort auf diese Frage und dass er die möglicherweise auch gar nicht weiß selber. Und da hab ich mich dann getraut zu fragen, ob das richtig sei, dass heute, an dem Abend des 9. Novembers, wie eben gerade im Fernsehen gehört, also die Bürger der DDR mit einem gültigen Personalausweis in Richtung Westberlin ausreisen können oder ob das irgendwie anders gemeint ist, wie da vorne gerade erzählt wird. Und ich möchte darauf gerne eine Antwort von einer autorisierten Person haben und nicht von einem Grenzsoldaten oder einem ABV.
Also, da standen so 20 bis 25 Leute, das war so zwischen – weiß ich nicht – 19.30 und 20.00 Uhr etwa. Und da sagte dann so ein Offizier, der kam dann raus: „Also, der das heute wünscht, kann das jetzt gerne tun.“ Und dann hab ich gedacht: Na, dann lass uns mal gehen. Und dann ging das alles plötzlich ganz schnell. Und irgendwie waren wir dann so am Ende der Bornholmer Straße, als ich dann so einen Mercedes sah – klar, ach so, hier ist jetzt wohl so irgendwie Westen. Und da standen da eben zwei Taxis und ein Videokameramann, so ein Amateur. Und das war also eine ganz seltsame Erfahrung. Und es war ja auch so, hinter uns waren ja noch nicht die Tausenden oder Hunderttausenden Menschen, sondern wir waren die ersten zwei. Und das war so ein Punkt gewesen, der dann im Nachhinein also auch noch mal irgendwie für mein Gefühl etwas so deutlich machte an dem Job, den wir vorher gemacht hatten – dass wir im Grunde genommen dann auch noch an der richtigen Stelle zur richtigen Zeit waren, weil wir eben auch einfach gut informiert waren.
Aram Radomski, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de