Abschrift
Wie kommt man eigentlich dazu, zu resignieren? Wie kommt man dazu, dass die Stasi einen dorthin bringt, dass man im Knast einen Ausreiseantrag unterschreibt. Ich war eigentlich immer bekannt als notorischer Dableiber, als jemand, der in Jena, in der DDR leben wollte. Dort war mein Zuhause, dort waren meine Freunde. Und dann habe ich doch im Knast einen Ausreiseantrag unterschrieben. Das ist eigentlich, was man nicht begreift. Ich hab gelernt im Knast, dass man im Knast keine freien Entscheidungen treffen kann. Die Frage, ob bleiben oder gehen, kann man eigentlich nur außerhalb von Gefängnismauern stellen. Und wenn ich im Knast was unterschreibe, ist das nicht aus freien Stücken, sondern da ist ein Entwicklungsprozess, der anfängt, dass ich inhaftiert werde für was, was eigentlich keine Straftat ist. Du sitzt da im Gefängnis und weißt eigentlich gar nicht warum. Du bist kein Krimineller, du hast nichts Böses getan. Und trotzdem musst du in diesem Gefängnis sitzen. Was geschieht hier eigentlich? Das sind viele einsame Tage und Nächte in der Einzelzelle, wo du dir einen Kopf machst. Und da baust du eine Gegenwehr auf und sagst dir: So, du stehst das durch. Du zeigst ihnen, du bist stärker. Und dann kommen sie mit den vielen kleinen Psychotricks. Dass sie dich vollkommen isolieren, dass sie niemanden zu dir lassen, deine Freunde nicht zu dir lassen. Dass sie dich von deinem Arbeitsplatz entfernen. Also man hat mir ja gekündigt, die Arbeitsstelle. Und ich hab gedacht, na ja, da hauen sie über die Stränge. Was soll das? Irgendwo gibts doch noch in der DDR ein Arbeitsrecht! Da hat man einen Schauprozess gemacht. Man hat praktisch das geltende Gesetz verletzt und hat per Gerichtsurteil bestätigt: Mir wurde gekündigt von der Arbeitsstelle. Und wenn dann ein Anwalt zu dir kommt und sagt: „Roland, das hat ja alles nicht mehr viel Sinn. Deine Freunde, sie stellen alle Ausreiseanträge. Wenn du hier rauskommst, holt dich niemand mehr ab“, dann bist du schon an einem Punkt, wo du dir überlegst: Was macht das für einen Sinn, ein paar Jahre im Gefängnis zu bleiben, und wenn du rauskommst, ist nicht mehr das da, was dir den Halt gegeben hat in deiner Stadt, in deinem Land, nämlich deine Freunde. Eine Stunde später geht die Zellentür auf, man bringt mir eine Postkarte. Eine Freundin aus Paris hat geschrieben: „Lieber Roland, ich hoffe, dass Du auch bald so schöne Sachen machen kannst wie wir.“ Und da kommst du schon ins Zweifeln. Du sitzt hier einsam in der Zelle und deine Freunde sind ausgereist. Die sind in Paris. Und du sagst dir: Zelle oder Eiffelturm? Was willst du eigentlich. Wie hoch ist der Preis, den du hier zahlst. Und da gibt es ganz, ganz viele weitere Punkte, wo man dann an so einen … doch am Ende ist und dann sagt: Okay, es gibt noch ein anderes Leben außer dieser DDR. Wo man dann plötzlich bereit ist, eigentlich gegen seine Überzeugung zu sagen: Ich geh weg.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de