Abschrift
Wir haben durchaus des Öfteren darüber nachgedacht, ob wir das überhaupt noch aushalten können und ob wir das auch verantworten können oder ob alles überhaupt einen Sinn hat. Es gab schon Momente, Situationen, wo wir begannen, daran zu zweifeln, gerade auch, wenn Freunde von uns wieder weggegangen waren, in den Westen gegangen waren, die es eben nicht mehr aushielten. Dann waren wir wieder weniger und haben selbst darüber nachgedacht, wie es weitergehen kann. Hoffnung kam dann manchmal dadurch, dass neue Leute zu uns stießen, die auch entschlossen waren, etwas zu unternehmen. Denn uns war schon klar, dass man vom Westen aus nicht mehr so viel tun kann wie in der DDR selbst und dass es keine Lösung ist, wenn alle in den Westen gehen. Es müssen Leute dableiben, die etwas versuchen zu verändern, auch wenn es zeitweise aussichtslos erscheint. Den tiefsten Punkt habe ich erlebt, als ich kurz nach der Einschulung meines Sohnes von einer Hortnerin in seiner Schule erfuhr, dass die Staatssicherheit in der Schule war und die Lehrer verwarnt hatte, es ist ein Jonas Poppe, es ist ein Schüler eingeschult worden, dessen Eltern sind Staatsfeinde und dessen Mutter hat schon im Gefängnis gesessen, weil sie einen Hetzartikel gegen die Volksbildung geschrieben hätte, was gar nicht stimmte. Aber ich konnte es ja nicht dementieren, weil die Hortnerin mir das alles unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt hat. Ich war ihr sehr dankbar dafür, dass sie mir das so gesagt hat. Aber plötzlich hatte ich das Gefühl: Was mein Leben betrifft, das kann ich selbst verantworten. Aber kann ich das noch, wenn es um unsere Kinder geht? Da bin ich heulend nach Hause gegangen, und wir haben hin und her überlegt, ob wir das dürfen, ob wir hier einfach weitermachen dürfen und dabei in Kauf nehmen, dass unsere Kinder benachteiligt werden in der Schule.
Ulrike Poppe auf www.jugendopposition.de
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft