Abschrift
Sprecher (off):
„Abfall will immer noch über die Grenze. Sein Antrag auf Ausreise in die BRD ist noch nicht genehmigt. Wir trafen ihn während der Arbeit auf einem Friedhof.“
Interviewer:
„Abfall, das ist ja nicht gerade hier eine Traumtätigkeit. Wie bist du denn dazu gekommen?“
Abfall:
„Ja, Traumtätigkeit … Was soll ich dazu sagen? Das ist der einzig verfügbare Job für mich zurzeit. Aufgrund von Ausreise, wie du weißt, bin ich ein Jahr nach Arbeit gelaufen, in mehreren Betrieben. Die letzte Ablehnung kam von der SERO [Wertstoffhof], kann ich ja dazu sagen. Na ja, und Kirche ist so quasi das Einzige, was hier übrig bleibt. Der Verdienst ist 400 Mark im Monat auf die Hand. Damit lebt man.“
Interviewer:
„Und was empfindest du, wenn du diese Arbeit machst hier?“
Abfall:
„Na ja, den ersten Tag war es ein bisschen ungewohnt. Man kennt das vielleicht von Filmen her. Auf Beerdigungen selber bin ich ja auch schon gewesen, bei Verwandten und so weiter. Aber das selber machen ist natürlich nicht so … Aber ich glaube mit der Zeit auch, `s ist eine Arbeit wie jede andere auch, die gemacht werden muss. Empfinden? Ja, ich kenne die Leute nicht weiter. Ich sehe die Beerdigungen, und so etwas passiert tagtäglich oder in der Woche zweimal … Lauf der Dinge. Man stumpft irgendwo ab dabei. Ich meine, ich reiße hier keine Witze oder so ähnlich, aber ist eben auch meine Arbeit. Nicht jedermanns Sache.“
Interviewer:
„Ist das jetzt ein Punkt, den du dir so vorgestellt hast, dass du mal irgendwann hier stehen wirst? Oder was war eigentlich so dein Ziel, wo du hin wolltest, wo du stehen wolltest und arbeiten oder …“
Abfall:
„Also, wenn ich die Wahl hätte, auf eigenen Wunsch?“
Interviewer:
„Wenn es so gelaufen wäre, wie du wolltest.“
Abfall:
„Ja, dann hätte ich einen Requisite-Job. Du weißt ja – du warst ja bei mir schon mal in der Bude –, dass ich immer so ein bisschen Zeug baue: Helme, Säbel und so weiter. Nach Möglichkeit, es ist natürlich alles ein bisschen beschränkt. Vielmehr, in früheren Jahren habe ich das gemacht. So etwas schwebt mir eigentlich vor mal irgendwo, irgendwann.“
Interviewer:
„Aber dann auf der anderen Seite, ja?“
Abfall:
„Ist anzunehmen.“
Interviewer:
„Würdest du eine Möglichkeit sehen, es auch hier noch mal anzupacken?“
Abfall:
„Kaum, unwahrscheinlich.“
Interviewer:
„Warum so konsequent?“
Abfall:
„Die Zeichen der Zeit sind schlecht. Konsequent … ich meine, ich bin ja nicht alleine auf weiter Flur. Das sind … die Zahlen sind zwar nicht so bekannt, aber irgendwo doch. Man trifft genug Leute. Das Problem ist immer das Gleiche, aber bei der Wurzel wird es nicht gepackt. Und so lange sehe ich dann auch hier nichts wachsen.“
Interviewer:
„Kannst du einen Hauptgrund nennen, warum du weg willst?“
Abfall:
„Schlecht, nur einen Hauptgrund zu nennen. Also, der Hauptgrund ist, frei zu sein, x-beliebig meinen Wohnort oder Wohnsitz zu wählen, wenn ich jetzt meinetwegen Lust habe, mich zwei Jahre in den kanadischen Wäldern herumzudrücken. Sind Träume, aber die müssen auch erfüllbar sein, dass mir das keiner verwehren kann, und wenn ich dann scheitere, wenn es mir doch nicht gefällt, dahin wieder zurückkehren oder woanders es zu versuchen.“
Quelle: Unsere Kinder, DEFA 1989, PROGRESS Film-Vertrieb GmbH