Abschrift
Moderatorin:
„Solchermaßen sprachlich eingeschränkt gibt sich da die Polizei nicht. Die hat ein bewährtes Handlungsmuster: Zuführen` heißt das. Genau das taten sie mal wieder. Diesmal am 7. Juni, als so ca. 150 Leute eine Eingabe gegen das offizielle Wahlergebnis beim Staatsrat vorbeibringen wollten. Nie genug vom Wahlbetrug`, stand auf einem Transparent. Treffpunkt war das Konsistorium. Von da aus sollte es weitergehen. Aber die Sicherheitskräfte waren auch schon zahlreich vertreten, sodass man sich zunächst bei der Sophienkirche wiederfand. Was dann in der Sophienkirche geschah, das schildert ein weiterer Beobachter.“
Demonstrationsteilnehmer aus Ost-Berlin:
„Schließlich trafen wir uns dann doch alle im Sophiengelände. Auch hier war die Meinung unterschiedlich. Einige sagten: Wir wollen unser Zeichen setzen und von hier aus zum Staatsrat. Andere sagten: Lasst uns zuvor miteinander eine Andacht halten.
Hier gab es eine deutliche Kontroverse, einen Dialog, ein kraftvoller, wenn ich so sagen darf. Und einige von uns meinten, sie kämen nicht zu Wort, wenn sie es nicht noch lauter sagten. Es war beherzt und behänd, behänd weniger. Schließlich meinte doch ein großer Teil – ich denke so 60, 70 – zunächst einmal von uns, wir müssten unseren Weg gehen. Sie fanden ihn nicht, denn wieder war die Sicherheit zur Stelle, und das Weggelände war abgesteckt oder abgegrenzt. Man entschloss sich, die Gruppe entschloss sich, sich auf dem Bürgersteig der Sophienkirche niederzulassen, friedlich, freundlich, eingehakt, sich gegenseitig ermutigend und immer wieder versuchend, mit den Organen, mit den Polizisten ins Gespräch zu kommen. Auch die haben sich – ganz wenig, aber doch löblich, denke ich, dankbar will ich das vermerken – auf Gespräche eingelassen. Aber letztendlich: Alles Bemühen, auch das Bemühen zum Magistrat hin, so muss man offen sagen, fruchtete nicht. Es gab Bemühen, sicher, aus unterschiedlicher Sicht. Von allen Seiten war dann doch das schrille Kommando zum, so muss ich jetzt leider sagen, Abräumen gegeben. Und so griffen sie zu – die, die es so gelernt hatten –, professionell, schmerzhaft. Schmerzhaft auch für uns, dass Menschen, die freundlich und zur Kommunikation einladend und ohne Gewalt, nun doch gewaltsam und in schlimmer Manier dort aufgeladen wurden. Sie wurden weggefahren, und wir standen ratlos und hilflos. Haben dann eingeladen zu einer Andacht in der Kirche. Haben dort miteinander gedacht und in der Fürbitte an die gedacht, die nun unterwegs waren und von denen wir hofften, dass sie bald wieder draußen sein könnten. Auch da gab es noch einmal eine Diskussion. Aber schließlich konnten wir, auch von der Polizei und den Sicherheitsorganen weitgehend unbehelligt, nach Hause gehen. Haben gehofft und erwartet und auch Kontakte gesucht, damit die, die nun zugeführt waren, bald wieder herauskamen. Ich habe in der Nacht noch telefoniert, oder wir haben es getan. Aber erst am frühen Morgen – so die Ersten wohl um zwei, um drei, unterschiedlich – bis gegen sechs waren die Letzten zu Hause, müde und doch froh. So habe ich mitgekriegt, dass es dann letztendlich so gelaufen ist.
Ich meine – letzte Bemerkung dazu, es ist eine wertende: Wenn alle oder wenn viele sagen, es hat doch nichts genützt, es hat doch nichts bewirkt, es hat doch nichts geholfen – ich denke, es hat etwas bewegt. Ich habe nachdenkliche Gesichter bei der Polizei, bei Mitarbeitern des Staatsapparates gesehen. Und wenn mir das jemand ausreden will, dem will ich widersprechen. Das lasse ich mir nicht ausreden! Wider aller Einrede behaupte ich, es hat sich etwas bewegt in den Köpfen. An manchen Gesichtern und mancher Nachdenklichkeit habe ich es gespürt.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit!“
Quelle: Radio Glasnost, Juni 1989