Abschrift
Im Vorfeld der geplanten Demonstration zu Rosa Luxemburg/Karl Liebknecht, die jeweils im Januar eines jeden Jahres stattfand, gab es viele Diskussionen. Wir überlegten, ob wir uns beteiligen an der offiziellen Demonstration mit eigenen Transparenten. Aber da die Ausreisegruppen vorhatten, dort für ihre Ausreise zu demonstrieren, war es sehr umstritten, ob wir mit denen gemeinsam etwas machen wollen. Wir waren ein bisschen in der Zwickmühle. Einerseits setzten wir uns natürlich dafür ein, dass jeder das Recht haben sollte – und das ist ein Menschenrecht –, dass er den Wohnort frei wählen darf und dass er reisen darf oder auch siedeln darf, wo er möchte. Auf der anderen Seite aber wollten wir nicht, dass alle kritischen Geister weggehen und niemand mehr bleibt, der entschlossen ist, etwas in der DDR zu verändern. Und insofern konnten wir uns nicht einigen. Einige waren entschlossen, sich an der Demonstration zu beteiligen aus Solidarität mit den Ausreisengruppen, aber auch, um eigene Transparente hochzuhalten. So ist beispielsweise Vera Wollenberger mit dem Transparent aufgetreten, auf dem der Luxemburgsatz stand: „Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden“, was ja ein ganz zentraler Satz war bei Rosa Luxemburg. Mein Mann und ich hatten beschlossen, uns nicht daran zu beteiligen, ein paar andere genauso. Vor unserem Haus stand eine Bewachung, also wir wären gar nicht aus dem Haus rausgekommen. Wir haben auch gedacht, dass die Staatssicherheit diese Beteiligung an der Demonstration doch zum Anlass nehmen würde – so war es ja auch geplant und ist es auch gekommen – für Verhaftungen. Und wir wollten uns nicht ans Messer liefern.
Ja, das hat uns natürlich sehr betroffen gemacht, dass es dann zu Verhaftungen gekommen war, einmal auf der Demonstration selbst und dann auch danach noch, und auch, dass sich die Inhaftierten nach wenigen Tagen haben in den Westen abschieben lassen. Das hat uns schon betroffen gemacht. Wobei einige, zu denen ich mich auch rechne, der Meinung waren, dass wir darüber nicht richten können, weil man im Knast unter Druck steht. Und wer sich dafür entscheidet, so ein Visum anzunehmen – und die meisten sind ja mit einem Visum ausgereist –, der hat noch die Hoffnung, auch wieder zurückzukommen vielleicht. Das ist deren freie Entscheidung, das muss deren freie Entscheidung auch bleiben. Aber traurig hat es uns schon gemacht, sie fehlten ja. Es gab entsprechende Kontroversen, ob es richtig ist, ob sie nicht hätten aushalten müssen im Knast. Aber gut, wir waren entschlossen weiterzumachen.
Ulrike Poppe auf www.jugendopposition.de
Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft