Abschrift
Sprecherin:
„Die Vorgänge in Berlin haben ein starkes Echo gefunden. Inwieweit haben euch die westlichen Medien mit ihrer Berichterstattung genutzt beziehungsweise geschadet?“
Sprecher:
„Informationen durch westliche Medien waren für uns wichtig. Sie stellten Öffentlichkeit her, die für uns über DDR-Medien unter den jetzigen Umständen nicht gegeben war. Öffentlichkeit hat auch eine nicht zu unterschätzende Schutzfunktion für jeden genannten Betroffenen. Uns nutzt differenzierende Berichterstattung mit Sachkenntnis, die uns nicht funktionalisiert. Einseitigkeit und Hervorheben hauptsächlich spektakulärer Vorfälle schaden uns. Ein Beispiel für diese Art von Journalismus war die Berichterstattung über die Ökumenische Versammlung Mitte Februar in Dresden, die durch das Auftreten Ausreisewilliger bestimmt war.“
Sprecherin:
„In keinem Fall ist es zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen. Gab es eine Rechtsgrundlage für die Entscheidung, die Inhaftierten in die BRD zu entlassen beziehungsweise zu beurlauben?“
Sprecher:
„Diese Vorgänge geben ein Beispiel für die katastrophale Rechtslage in der DDR. Für das gleiche Verhalten werden die einen zunächst zu monatelangen Haftstrafen verurteilt und dann, mit einem DDR-Pass versehen, abgeschoben. Andere werden ohne Prozess und Pass abgeschoben, und wieder andere erhalten die Genehmigung ihres Ausreiseantrages. Laufende Rechtsverfahren werden nicht juristisch, sondern durch Mauschelei beendet. Im Grunde sind schon die Straftatbestände allein absurd. Man denke an den Begriff Zusammenrottung`.“
Sprecherin:
„Gibt es Verständnis für die Bereitschaft der Verhafteten zur Ausreise?“
Sprecher:
„Es kann nicht darum gehen, den Betroffenen ihre Entscheidung vorzuwerfen. Es macht uns traurig und nachdenklich, dass alle bereits vor Abschluss der Prozesse zugestimmt haben, die DDR zu verlassen. Wir wissen nicht, was die Einzelnen wirklich dazu veranlasst hat, und wir wissen auch nicht, wie wir uns in einer solchen Situation verhalten hätten. Wir fragen uns allerdings: Sind wir alle so schwach?“
Sprecherin:
„Welche Erwartungen hättet ihr gehabt, wenn die Prozesse weitergeführt worden wären?“
Sprecher:
„Wir meinen, dass die Prozesse zum gegenwärtigen Zeitpunkt wichtig gewesen wären. Auch aufgrund der unklaren Rechtssituation war es sehr fraglich, ob die absurden Anklagen haltbar gewesen wären und ob die Bevölkerung der DDR entsprechende Verurteilungen akzeptiert hätte.“
Sprecherin:
„Was haltet ihr von der Behauptung einiger Westmedien, die DDR-Basisbewegung sei jetzt ihrer führenden Köpfe beraubt?“
Sprecher:
„Das ist Quatsch. Sicherlich ist der Verlust spürbar. Doch typisch für unsere Arbeit ist ja gerade, dass es keine Köpfe gibt, an denen alles hängt. Und gerade das ist für uns wichtig.“
Sprecherin:
„Könnt ihr die Einschätzung Freya Kliers teilen, die Stimmung in den DDR-Basisgruppen sei jetzt katastrophal?“
Sprecher:
„Nein. Natürlich haben die Ereignisse zunächst große Aufregung und Verwirrung ausgelöst. Dennoch war die Stimmung zu keinem Zeitpunkt katastrophal. Es setzte unmittelbar eine breite Solidarisierung mit den Inhaftierten, auch über Berlin hinaus, ein. Die Berliner Ereignisse haben die latent vorhandenen gesellschaftlichen Probleme öffentlich sichtbar gemacht, wie zum Beispiel Rechtsunsicherheit, Undurchsichtigkeit der Entscheidungsfindung und die Ausreiseproblematik.“
Sprecherin:
„Besteht die Gefahr der Unterwanderung oder Ausnutzung der Basisbewegung durch die Ausreisewilligen?“
Sprecher:
„Die Gefahr besteht, solange politische Provokationen ein Mittel sind, die Ausreise zu beschleunigen. Es fehlen gesetzliche Regelungen, die dem Ausreisewilligen einen Weg aufzeigen, sein Anliegen zu verwirklichen. Es besteht auch die Gefahr, dass politisches Engagement durch Ausreisewillige an Glaubwürdigkeit verliert.“
Sprecherin:
„Welche Themen sind zu Schwerpunkten der DDR-Basisbewegung geworden?“
Sprecher:
„Die Themen Frieden und Abrüstung, Hunger in der Zweiten beziehungsweise Dritten Welt, Menschenrechte, Ökologie, Friedenserziehung: diese Themen bleiben weiter aktuell. Momentan verlagern sich die Schwerpunkte auf innergesellschaftliche Fragen. Langfristig kann man den Demokratisierungsprozess auch in der DDR nicht stoppen. Er kann durch die Abschiebung Einzelner nicht aufgehalten werden. Allerdings wird er auch nicht vorangetrieben, indem die Bürger scharenweise unser Land verlassen. Sie müssen ermutigt werden, hier die Auseinandersetzungen auszutragen.“
Quelle: Radio Glasnost, Februar 1988