Abschrift
„Es war ja schon immer eine Strategie der Stasi, die Leute so weit zu desillusionieren, in die Resignation und Hoffnungslosigkeit zu treiben, dass sie einen Ausreiseantrag stellen. Dann, wenn die Stasi selber keine Möglichkeit mehr sah, die Leute zu braven Staatsbürgern umzupolen.
Bevor ich in der Friedensgemeinschaft Jena aktiv sein konnte, hatte ich mit meinem damaligen Mann zusammen einen Ausreiseantrag gestellt. Mein Mann wollte nicht zur Armee. Da bestand die Gefahr, dass er immer wieder inhaftiert werden konnte, weil er die Waffe oder die Ausbildung verweigert hatte. Außerdem wollten wir unseren Kindern was anderes bieten.
Als die anderen dann inhaftiert wurden, hatte ich mich persönlich entschieden: Ich zieh den Antrag zurück. Das muss ich jetzt ausnutzen, ich will jetzt nicht gehen. Für mich persönlich war es richtig schlimm, dass man nicht akzeptiert hat, dass ich den Ausreiseantrag zurückziehe. Dass man meinen schriftlichen Antrag nicht annehmen wollte. Dass man einfach gesagt hat: Nö, sie müssen jetzt gehen.
Frage: Wie viel Zeit hat man Ihnen denn gegeben?
Drei Tage.
Frage: Hatten sie noch Zeit, sich von Ihrer Familie und Ihren Freunden zu verabschieden?
Wir haben wie wild Sachen gepackt, eine Umzugsfirma gemietet, einen Container. Dann mussten wir noch so eine Art Laufzettel abarbeiten. Wir mussten uns bei den Behörden abmelden – quasi die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft. Das war schon sehr, sehr viel. Also haben wir in den zwei Nächten, die dazwischen waren, kaum geschlafen. Es war mir wichtig, dass die Kinder nochmal zu ihren Großeltern kommen. Die haben die zwei Tage da gelebt, da übernachtet.
Frage: Wie hat ihre Familie darauf reagiert, ihre Eltern zum Beispiel?
Die waren völlig geschockt. Ich habe beim Grenzübertritt noch einen Fluchtversuch gemacht, in die andere Richtung, in die DDR zurück. Ich wollte nicht weg. Für mich war das so, als würde ich mich freiwillig in meinen Tod begeben. Das klingt ein bisschen dramatisch, aber das war ganz furchtbar damals. Ich habe versucht, wieder in die DDR zu flüchten, aber ich bin von vier Grenzpolizisten eingefangen worden, die mich dann über die Grenze geschleift haben.
Dann war klar: Okay, ich hatte ja auch meine Kinder dabei. Das ist ja Blödsinn, obwohl ich meine Kinder schon gerne im Westen gelassen hätte, das hätte ich denen gegönnt.
Ich kann mich an den Bahnhof Friedrichstraße erinnern, der damals noch Grenzübergang war, und daran, dass uns auf der anderen Seite die Freunde abgeholt haben. Aber ich wollte nicht da sein. Ich wollte einfach nicht da sein. Wenn die Freunde in den ersten Wochen und Monaten nicht gewesen wären, und mein damaliger Mann, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre.“
Dorothea Fischer, Zeitzeugin auf www.jugendopposition.de