Abschrift
Eines Tages bestellte man mich aufs Amt und sagte zu mir: ´So, Sie reisen heute aus. Ich sagte: ,Nee, das fällt aus, ich bleibe`. ´Nee, Sie reisen heute aus.` Ich sagte, ich bleibe. Man hat mich festgenommen, hat mir die Arme umgedreht und mich in ein Auto geschafft. Mit diesem Auto ist man zu mir nach Hause gefahren, und ich bin aus dem Auto vor meiner Haustür mit den Sicherheitsbeamten der Stasi ausgestiegen. Für eine Sekunde war ich irgendwie unbeobachtet. Dann bin ich los gerannt, als wenn es um mein Leben ging. Ich habe sie abgehängt.
Rein in ein Haus, wo ich wusste, da wohnt eine Freundin, hoch, in die Wohnung rein, erstmal zu. Dann dachte ich mir: Stellst dich jetzt auf den Balkon und drohst ihnen, dass du runterspringst. Dann dachte ich: Nee, die lassen dich springen. Hauptsache, du bist aus dem Verkehr. Und schon kamen sie, schon waren sie da, irgendwie sind sie in die Wohnung eingedrungen, legten mir Knebelketten an, mit denen man die Handgelenke einschnürt. So hatte ich keine Chance, ich ging mit. Meine Beine bewegten sich von alleine, weil der Schmerz in den Handgelenken so mörderisch war. Als ich dann auf der Straße war, war da schon ein Auflauf von Menschen, die herumstanden und die Szene beobachteten.
Ich dachte: Was ist hier los? Die beobachten dich, Polizei und Stasi führen dich ab, und ich schrie einfach raus: ´Nicht, dass ihr denkt, ich habe einen umgebracht. Ich will bloß nicht in den Westen!`. Denn ich kam mir vor wie ein Krimineller. Dann haben sie mich auf den Bahnsteig gebracht, und da stand schon der Interzonenzug nach Bayern. Dann haben sie mich gepackt und in den letzten Wagen reingepfercht. In Hemd und Hose stand ich da und wehrte mich nochmal. Mein Hemd zerriss, sie nahmen die Knebelketten ab, schubsten mich in die Ecke, und ich flog in die Ecke. Ich wollte noch aufstehen, da schmissen sie schon die Tür zu und schlossen sie ab.
Da stand ich auf vier Quadratmetern und rüttelte an allen Türen, und ich kam nicht mehr raus. Schon fuhr der Zug. Und dann schaust du noch auf diese Gleise, wo dein ganzes Leben in deiner Heimat vorübergeht. Und deine Heimat verliert sich langsam. Du siehst nur noch die Umrisse der Grenzzäune. Und schaust nur noch auf dieses Gleis, und dann klopft es. Dann steht da der Schaffner im Zug und sagt: ´Wie kommen sie hier rein?`.
Roland Jahn, Zeitzeuge auf www.jugendopposition.de