Abschrift
Sprecher (off):
„Das Colloquium war der Spiegel unserer Meinung. Die Studenten schrieben es, und die Studenten lasen es. Wie lange noch?` hieß eine Artikelserie in dieser Zeit, die wir alle mit Spannung verfolgten. Wie lange noch sollte es auf unserer Universität so weitergehen, dass wir bei jedem Unbekannten annehmen mussten, es sei ein Spitzel? Dass bei den Zulassungen nicht das Können oder die Begabtheit entschied, sondern die Parteizugehörigkeit zur SED und die Zugehörigkeit der Eltern zum Proletariat?
So sah es in dieser Zeit aus, und deshalb wollte ich mithelfen, denen die Augen zu öffnen, die noch nicht sehen wollten. Aber als man unter der Begründung, sie hätten Anstand und Würde der Universität verletzt, im März 1948 die drei Herausgeber des Colloquium aus der Universität warf, da war es mit unserer Geduld zu Ende. Wir versammelten uns im Hotel Esplanade` und protestierten. Und wir waren alle dabei, auch wenn der Rektor uns hatte sagen lassen: Wer mitmacht, fliegt auch. Wir wollten studieren, frei und ungehindert studieren! Darum forderten wir an diesem Abend eine freie Universität.“
O-Ton:
„Und außerdem glauben wir, dass, wenn da vielleicht noch Zweifel bestanden haben sollten, diese Versammlung eines klargemacht hat: dass innerhalb der Berliner Studentenschaft ein dringendes Bedürfnis danach besteht, dass sofort in Angriff genommen wird die Entwicklung einer Freien Universität im Westen Berlins!“
Sprecher (off):
„Und nun ging es Schlag auf Schlag. Schon 14 Tage später können sich alle Studenten in Listen eintragen, die für die Freie Universität sind und die dort studieren wollen. Natürlich war ich dabei. Gleichzeitig beauftragt das Stadtparlament im Magistrat, sofort alle Maßnahmen zur Errichtung einer Freien Universität zu ergreifen. Ein Ausschuss von Wissenschaftlern, Politikern und Studenten soll den Plan der neuen Universität vorantreiben und verwirklichen. Zuerst hatten wir nur dies kleine Haus und darin nichts als leere Räume. Wir wussten oft nicht ein und aus in dieser Zeit. Wir hatten auch keinen Tisch und keinen Stuhl. Das Einzige: ein Telefon und der Beginn einer ersten Korrespondenz. Und das war unser erstes Möbelstück (Hocker) – lächerlich, wenn man daran dachte, was wir brauchten, und doch wertvoll in diesen ersten Tagen. Aber die Studenten kamen schon scharenweise, um sich anzumelden, zu hören, wann es losging, ob sie helfen könnten und wann sie studieren könnten. Dabei wussten wir noch nicht einmal, wo wir mit unserer Universität einziehen würden. In den ehemaligen Gemeindetag im Tiergarten, in die frühere Flak-Kaserne in Lankwitz? Wir bekamen Gebäude der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Dahlem, ohne Zweifel eine der besten Möglichkeiten, die in Berlin zu finden war. Und wir arbeiteten Tag und Nacht.
Wir gaben Fragebogen aus. Ganz ohne ging es leider auch nicht, aber es waren die kürzesten, die je in Deutschland gedruckt wurden. Mediziner, Juristen, Volkswirte, Philosophen kamen – viel mehr, als wir für den Anfang aufnehmen konnten. Darum musste eine Auswahl getroffen werden. Die Zulassungsprüfungen begannen, bei denen die Parteipolitik keine Rolle spielte. Mit Herzklopfen stellten sich die Bewerber einer Kommission vor: einem Vertreter des öffentlichen Lebens, einem Professor und einem Studentenvertreter. Im Gespräch versuchte man, ein Bild des armen Geprüften zu gewinnen. Und wenn der Professor in manchen Fällen noch skeptisch war, so gab die junge Studentenvertreterin dem Prüfling doch noch eine Chance. In jedem Falle aber waren Aufgeschlossenheit und Eignung für die Zulassung ausschlaggebend.“
Quelle: Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin, „Eine freie Universität“ von Wolfgang Kiepenheuer von 1949