Abschrift
Sprecher (off):
„1. Mai 1946. Berlin prangt im Fahnenschmuck. Aber als die kommunistische Zentralverwaltung uns zwingen will, die rote Fahne auf der Universität zu hissen, spielten wir nicht mit, und die Universität blieb ohne Fahne. Dafür wurde der Vorsitzende unserer Studentischen Arbeitsgemeinschaft abgesetzt. Wir nahmen das noch nicht so ernst.
Wir gingen in das Sommersemester. Es kamen die Sommerferien. Wir genossen die Wärme und holten unsere Wissenslücken auf. Wir verdienten unser Geld, jeder auf seine Weise. Manche spielten ein Instrument, andere arbeiteten als Handwerker. Und die sonst nichts gelernt hatten, arbeiteten hart, oder sie gerieten in gefährlichere Geschäfte.
Herbst 1946. Berlin hatte gewählt und eine politische Entscheidung getroffen. Auch wir wählten. Aber bei unserer Studentenratswahl am 6. 2. 1947 wollten wir nicht in erster Linie politische Vertreter, sondern eine Studentenvertretung, die aus tüchtigen und vertrauenswürdigen Studenten bestand. Die Wahl entsprach unseren Erwartungen.
Oft ging es in unseren Studentenratssitzungen stürmisch zu. Oft waren die Meinungen so gegensätzlich, dass man kaum eine Einigung erwarten konnte. Aber unsere Studentenvertreter brachten jetzt endlich unsere Wünsche und Forderungen vor die Öffentlichkeit, ohne die Sorge zu haben, man könnte sie absetzen. Doch das war ein verhängnisvoller Irrtum.
Einer dieser Studentenvertreter wird im März 1947, also einen Monat nach unserer Wahl, in einem Berliner Café verhaftet, verschwand und blieb verschwunden. In der gleichen Zeit: Eine Studentin wird im Foyer eines Theaters angesprochen, verhaftet – seitdem verschwunden. Ein anderer Student wird in diesen Tagen von einer Dame aufgesucht. Seitdem fehlt jede Spur von ihm.
Wir protestierten in unserer Studentenzeitung gegen den Menschenraub. Wir wollten uns nicht in eine bestimmte politische Richtung drängen lassen, nicht schon wieder mithilfe eines Abzeichens, eines Parteiabzeichens, zum Studium zugelassen werden. Wir wollten uns nicht mit Kartoffeln kaufen lassen, obwohl wir sie dringend brauchten. Wir wollten endlich in Ruhe studieren!“
Quelle: Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin, „Eine freie Universität“ von Wolfgang Kiepenheuer von 1949