Initiative Frieden und Menschenrechte
Das Wettrüsten der beiden Machtblöcke in Ost und West führt auch in der DDR zur Gründung von Friedensinitiativen. Damit verbunden entsteht bei den Menschen das Bewusstsein, dass Friedensengagement eng mit dem Einsatz für grundlegende Menschenrechte zusammenhängt.
In der DDR entsteht 1986 die Ostberliner Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM), die zu einer der wichtigsten Oppositionsgruppen im Land wird. Dabei verläuft der Gründungsprozess eher chaotisch. Initiiert von Mitgliedern eines Friedenskreises aus dem Umfeld der Berliner Bekenntnisgemeinde, bereiten verschiedene Friedenskreise ein gemeinsames Seminar über Menschenrechtsfragen vor. Das Seminar, so ist es geplant, soll der Öffentlichkeit über die Westmedien vorgestellt werden. Man will auch Mitglieder der Grünen-Bundestagsfraktion einladen.
Die Organisation eines solchen Seminars ist auch unter dem Dach der Kirche ein Wagnis. Eine Diskussion über Menschenrechtsfragen ist immer auch eine Diskussion über das SED-Regime, das elementare Menschenrechte täglich mit Füßen tritt. Der Staat hat die berechtigte Sorge, dass aus dem Seminar eine dauerhafte Menschenrechtsgruppe hervorgeht.
Als die Stasi von dem Plan der Friedenskreise erfährt, setzt sie alle Hebel in Bewegung, das Seminar zu verhindern. Tatsächlich gelingt es durch Druck auf Gemeindekirchenrat und Kirchenleitung, die Veranstaltung eine Woche vor dem Termin zu verbieten.
Meinungsverschiedenheiten bei den Menschenrechtlern
Daraufhin gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen den Initiatoren des gescheiterten Seminars: Ein Teil von ihnen fordert in einem Grundrechtekatalog bürgerliche und politische Grundrechte ein und strebt die Gründung einer Menschenrechtsgruppe an. In dieser Gruppe aktiv sind Wolfgang Templin (38), Werner Fischer (36), Ralf Hirsch (26) und Peter Grimm (21), der im Zeitzeugen-Interview von den Motiven für die Gründung berichtet.
Der andere Teil um Vera Wollenberger (34), Reinhard Schult (35) und Wolfgang Wolf will die eingeforderten Menschenrechte mit einer grundlegenden Gesellschaftsreform verbinden. Die Gründung einer reinen Menschenrechtsgruppe lehnen sie ab, da sie Menschenrechtsarbeit als einen Teil der Friedensarbeit begreifen.
Die Gruppe um Wolfgang Templin verfasst schließlich – ohne Absprache mit den anderen Aktivisten – das Gründungspapier der IFM (Menschenrechtsseminar). Nach dieser Aktion kommt es zum Bruch zwischen beiden Gruppierungen. Ein eingeschleuster Stasi-Mitarbeiter verstärkt den Konflikt noch durch geschicktes Argumentieren; die Stasi-Methode der Zersetzung erweist sich hier als erfolgreich. Vera Wollenberger, Reinhard Schult und Wolfgang Wolf bilden zusammen mit anderen die Gruppe Gegenstimmen. Später stellt sich heraus, dass Wolfgang Wolf seit 1964 IM der Stasi ist.
Die IFM versteht sich als von der Kirche unabhängige Gruppe. Dennoch hält sie Kontakte zur kirchlich gebundenen Opposition und, trotz totaler Auslandsreisesperre, zu osteuropäischen Widerstandsgruppen.
1986 wird der illegale grenzfall aus der Taufe gehoben
Bereits am 29. Juni 1986 gibt die IFM 1.000 Exemplare der in Oppositionskreisen für ihre kritische Position bald berühmten Zeitschrift grenzfall heraus. Die unter einfachsten Bedingungen auf billigem Papier hergestellte Zeitschrift geht mit zahlreichen Appellen und Aufrufen an die Öffentlichkeit, zum Beispiel zum Tschernobyl-GAU und der verfehlten Umweltpolitik der DDR-Regierung. Im Gegensatz zu anderen kritischen Publikationen dieser Zeit hat der grenzfall nicht den Status einer kircheninternen Publikation. Er wird vollkommen illegal und ohne offizielle kirchliche Unterstützung hergestellt und verbreitet.
Es ist genau diese Unabhängigkeit, die den grenzfall für viele Oppositionelle in der DDR so attraktiv macht. Maßgeblich für den Druck verantwortlich sind Peter Rölle und Peter Grimm. (Peter Grimm berichtet im Zeitzeugen-Interview darüber, wie der grenzfall hergestellt wurde.)
Allen Schwierigkeiten zum Trotz etabliert sich die Berliner IFM und gewinnt bald relativ großen Einfluss auf die oppositionelle Szene in der DDR. So gibt die Gruppe zum 30. Jahrestag des Ungarn-Aufstands im Oktober 1986 eine Erklärung zusammen mit ungarischen, tschechischen und polnischen Bürgerrechtlern heraus. Darin engagiert sie sich „für politische Demokratie und für einen auf den Prinzipien der Selbstbestimmung gegründeten Pluralismus“.
In einer unbeantwortet gebliebenen Eingabe an den XI. Parteitag der SED, die in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht wird, fordern Mitglieder der IFM die Demokratisierung des sozialistischen Systems. Sie widersprechen dem Alleinvertretungsanspruch der SED und bezweifeln die propagierte „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, die unzählige Sozialleistungen bietet, ohne sie dauerhaft finanzieren zu können.
Mit solchen Aktivitäten steigert die IFM ihre Bekanntheit in der Oppositionsbewegung und wird zum Vorbild für verschiedene Friedens- und Menschenrechtsinitiativen. So kommt es später auch in Leipzig zur Gründung einer IFM. Das erhöht die Aufmerksamkeit der Stasi. Ein Höhepunkt der Stasi-Bemühungen ist die Verhaftungs- und Beschlagnahmeaktion in der Umwelt-Bibliothek Berlin im November 1987. Im Januar 1988 werden unter anderem Ralf Hirsch, Bärbel Bohley, Regina und Wolfgang Templin verhaftet und in den Westen abgeschoben.
Ungeachtet der Festnahmen und Ausbürgerungen existiert die IFM bis zur Gründung von Bündnis 90 nach dem Mauerfall.
Zitierempfehlung: „Initiative Frieden und Menschenrechte“, hrsg. v. Bundeszentrale für politische Bildung und Robert-Havemann-Gesellschaft e.V., letzte Änderung Dezember 2019, www.jugendopposition.de/145393
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